Barney´s Version

Die Gnade des Vergessens

Eine Filmkritik von Patrick Wellinski

Barneys Version geht so: Es war ein Unfall. Barney Panofsky (Paul Giamatti) behauptet, er habe seinen besten Freund nicht umgebracht. Doch Detective Sean O'Hearne (Mark Addy) glaubt ihm nicht. Der ungelöste Fall bereitet dem Ermittler noch Jahre später Kopfzerbrechen. Er schreibt sogar ein Buch darüber. Es ist seine Version dessen, was sich damals am See wirklich zugetragen hat. Das ist der Anfang und gleichzeitig der Ausgangspunkt von Richard J. Lewis Film Barney's Version. In Rückblenden erzählt er nun das Leben des jüdischen TV-Produzenten Barney Panofsky, das sich als tragikomischer Ablauf von falschen Entscheidungen und der Suche nach der großen Liebe erweist.
Basierend auf dem gleichnamigen Roman des kanadischen Schriftstellers Mordecai Richler (in Deutschland bekannt durch das Buch Die Lehrjahre des Duddy Kravitz) orientiert sich Regisseur Lewis sehr stark an der literarischen Vorlage. Das bedeutet, dass er ein sehr schönes Gespür für den jüdischen Witz hat, der nicht nur Richlers Buch entscheidend prägt, sondern auch im Film zum charmanten Rhythmusgeber wird. Was so auf der Leinwand entsteht, ist ein über weite Strecken mild-sentimentales Melodram, das in erster Linie die perfekte Bühne für ein großartig aufspielendes Darstellerensemble ist.

Paul Giamatti spielt Barney, den kettenrauchenden, hemmungslos trinkenden TV-Produzenten, der mit geschmacklosen kanadischen Seifenopern bekannt geworden ist. Der Zyniker hat mehr als nur ein paar schlechte Angewohnheiten. Man versteht daher nicht so recht, weshalb sich die schönsten und liebenswürdigsten Frauen Montreals in ihn verlieben. Er ist ein Taugenichts. Einer, dessen erste Frau Selbstmord begeht und der dann seine zweite Frau noch während der Hochzeitsfeier verlässt, um der schönen Miriam (Rosamunde Pike) bis auf den Bahnhof zu folgen und ihr seine Liebe zu gestehen. Giamattis große – und mittlerweile zu recht mit einem Golden Globe ausgezeichnete – Leistung besteht darin, seine Figur trotz aller moralisch verwerflichen Entscheidungen immer wieder Zeichen von Sympathie zu verleihen. Da der Film sich über mehrere Jahre erstreckt, bekommt Giamatti natürlich die Chance mit viel Make-Up seine Figur auch im hohen Alter zu spielen. Leider wurde die hervorragende Arbeit der Maskenbilder bei den Academy Awards nicht beachtet, dort gewinnt immer noch Beliebiges wie Werwolf. Umso mehr sollte man den subtilen Details dieser Arbeit im Kino die Aufmerksamkeit schenken, die sie verdienen.

Neben einem tollen Dustin Hoffmann als emeritierter jüdischer Cop, der im Bordell stirbt, und zahlreichen Cameo-Auftritten von Regiegrößen wie Denys Arcand, Atom Egoyan und David Cronenberg glänzt die britische Schauspielerin Rosamunde Pike. Ihre Miriam ist nicht nur eine zarte Schönheit, die mit ihrem sanften Charakter viel zu gut für Barney zu sein scheint. Sie bekommt auch genug Platz, um die eigene Figur in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit zu zeigen. Auch sie wird Barney nicht halten können. Doch obwohl sie nach einem neuen Leben strebt, kann sie die Verbindung zu Barney nicht vollständig kappen. Wem Pike bisher im Kino noch nicht aufgefallen ist, der wird sie spätestens nach diesem Auftritt nicht mehr so schnell vergessen.

Barney erkrankt an Alzheimer. Die Krankheit nimmt ihm schleichend das Einzige, was er von seiner großen Liebe, Miriam, noch hat: die Erinnerung. Gleichzeitig schlägt der Film damit die Brücke zur Ausgangsfrage, ob Barney damals seinen Freund am See getötet hat. In einer fast schon absurden Beiläufigkeit löst der Film diese Frage auch noch auf. Schuld und Sühne bekommen in diesem Moment eine irrwitzige Bedeutungslosigkeit.

Barney's Version ist ein angenehm altmodisches Melodrama über das Vergessen. Manchmal schwingt Lewis die Gefühlskeule etwas zu heftig, doch das sei ihm verziehen. Schließlich fällt es schwer einer so menschlichen Figur wie Barney zu widerstehen. Denn trotz (oder genau wegen) seiner ganzen moralischen Verfehlungen ist er uns wesentlich näher als so manch anderer Leinwandheld.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/barneys-version