Geliebtes Leben

Kleines Mädchen, ganz groß

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Bereits der Beginn von Oliver Schmitz’ Film Geliebtes Leben, einer südafrikanischen Produktion mit deutscher Beteiligung, ließ ahnen, dass dies keine leichte Kost werden würde. Statt in die Schule zu gehen, muss die zwölfjährige Chanda (Khomotso Manyaka) den schweren Gang zum Leichenbestatter antreten, da gerade ihre kleine Schwester Sarah gestorben und ihre Mutter (Lerato Mvelase) vor Trauer nicht in der Lage ist, sich um die Beerdigungsmodalitäten zu kümmern. Da das Geld knapp und ihr Stiefvater, mit dem die Mutter noch weitere Kinder hat, ein Herumtreiber und Frauenheld ist, muss sich das Mädchen nun selbst um alles kümmern, zumal die Mutter anscheinend aus Gram erkrankt und immer deutlichere Anzeichen des Verfalls zeigt. Bis in Chanda ein schrecklicher Verdacht heranreift – kann es sein, dass die Mutter an AIDS erkrankt ist? Aus Scham vor den neugierigen Nachbarn und aufgrund der Armut wagt die Familie nicht den Gang zum Arzt. Und als der Vater nach mehrmonatiger Abwesenheit ebenfalls von Krankheit gezeichnet und zum Skelett abgemagert plötzlich wieder auftaucht, um kurz danach endgültig von der Bildfläche zu verschwinden, ist es klar, dass Chanda schon bald niemand mehr haben wird außer ihrer Freundin Esther (Keaobaka Makanyane). Doch deren Lebensstil passt weder der gestrengen Nachbarin Aunt Lizbet (Tinah Mnumzana) noch der Community, die vor den Realitäten des Lebens in dem Township die Augen verschlossen hat und sich lieber in Aberglauben und Tratsch flüchtet.
Mit stehenden Ovationen gefeiert wurde in Cannes in der Reihe "Un certain regard" das in Südafrika angesiedelte Drama, dessen kleine Hauptdarstellerin Khomotso Manyaka vor dem Beginn der Vorstellung bekannt hatte, wie glücklich sie sei, in Cannes anwesend zu sein. Wenn sie geahnt hätte, welcher Beifallssturm sich nach dem Ende des Screenings erheben würde, hätten ihre Glücksgefühle bestimmt keine Grenzen gekannt. Eine kleine Entdeckung, wie man sie in Cannes immer wieder machen kann – und vielleicht der größte Moment im Leben der ergreifend spielenden Khomotso Manyaka. Angesichts der Yachten und Luxusschlitten, die man auf der Croisette und den Stränden bewundern kann und all der wichtigen Menschen, die hier permanent "serious bizness" betreiben, erinnert einen ein Film wie Life, Above All auf eindrucksvolle Weise daran, worum es hier in Cannes auch und vor allem geht – um Geschichten aus dem Leben, die den Blick für andere Lebenswelten öffnen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/geliebtes-leben