Hors la loi

Aufarbeitung eines nationalen Traumas

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Zu Rachid Boucharebs Wettbewerbsbeitrag Hors la loi herrschte am Palais de Festival in Cannes eine erhöhte Sicherheitsstufe: Gleich zweimal wurden die Taschen der Journalisten durchsucht, alle Getränke und Flüssigkeiten mussten abgegeben werden. Ist Frankreich wirklich so besorgt über einen Film, der den Kampf der FLN um die Unabhängigkeit Algeriens vor fünfzig Jahren schildert? Hat tatsächlich keinerlei Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit stattgefunden, fragt man sich unwillkürlich und wird durch die Befürchtungen in seinem Staunen bestätigt.
Mehr als dreißig Jahre umfasst der Film, der 1925 in Algerien beginnt und mit der Unabhängigkeit des Landes im Jahre 1961 endet. Hors la loi beginnt mit der Vertreibung der Familie der drei Brüder Said (Jamel Debouze), Messaoud (Roschdy Zem) und Abdelkader (Sami Bouajila) von ihrem Land durch die französische Nationalmacht. Zwanzig Jahre später treffen wir sie wieder in der Provinzhauptstadt Sétif, wo ausgerechnet am Tag des Endes des Zweiten Weltkrieges eine friedliche Demonstration von Algeriern in einem Massaker endet, bei dem auch der Vater der drei Bürder getötet wird. Es ist die endgültige Initialzündung für die Radikalisierung Abdelkaders, der verhaftet und nach Frankreich ins Gefängnis gebracht wird. Während Messaoud für Frankreich im Krieg in Indochina kämpft, ziehen Said und seine Mutter in ein Elendsviertel von Paris, um dem inhaftierten Bruder nahe zu sein. Als Messaoud aus dem Krieg heimkehrt und Abdelkader aus dem Knast entlassen wird, schließen sich die beiden der FLN auf und werden zu wichtigen Funktionären und Mörder der radikalen Unabhängigkeitsbewegung, während Said sich als Zuhälter bestens mit den Verhältnissen arrangiert zu haben scheint. Doch der zunehmend blutige Kampf eskaliert weiter, als sich innerhalb der französischen Sicherheitsbehörden eine Geheimorganisation namens La main rouge (Die rote Hand) bildet, die den Terror der FLN ebenfalls mit Gewaltakten beantwortet...

Aufgrund der Komplexität des Themas, der drei Haupt- und etlichen Nebenfiguren und des langen Zeitraums, von dem Hors la loi erzählt, ist der Film mit seiner Episodenstruktur und seinen jähen Zeitsprüngen manchmal recht plakativ geraten. Dennoch entwickelt der Film von Rachid Bouchareb im Laufe der mehr als zwei Stunden einen regelrechten Sog – man bleibt an den Figuren dran und fiebert mit, auch wenn man schnell ahnt, auf welchen Endpunkt das Historiendrama hinausläuft. Ob der Film in Frankreich nun endlich die anscheinend überfällige Aufarbeitung über die Gräuel während der Kolonialzeit auslöst, wird man abwarten müssen. Und ob Hors la loi bei der Preisverleihung am Sonntag ausgezeichnet wird – das steht ebenfalls in den Sternen. Denn trotz aller Brisanz – der Film gehört nicht zu den stärksten in einem bislang eher mauen Wettbewerb.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/hors-la-loi