Accident (2009)

Ein Choreograph des Todes

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Manchmal bedarf es nicht viel, damit eine fest gefügte Ordnung aus den Fugen gerät und sich Objekte auf einen Kollisionskurs begeben, an dessen Ende ein Unfall steht. Dann wieder, in anderen Fällen, ist es eine Verkettung vieler kleiner Details, deren mechanisches Ineinandergreifen ein Unglück heraufbeschwört. So auch in Pou-soi Cheangs atemberaubend schönem Meisterwerk Accident / Yi Ngoi, das vor allem für alle Fans der Hongkong-Legende Johnnie To (aber nicht nur für diese) ein absoluter Filmgenuss ist. Kein Wunder, schließlich hat To den Film produziert. Accident erinnert in vielem an Werke wie Sparrow, wobei der Tonfall ungleich ernster ist.

In einer atemberaubenden Sequenz zu Beginn des Filmes zeigt Cheang ein detailliertes Ballett des Zufalls, an dessen Ende ein Mann (später erfahren wir, dass es ein Triaden-Boss war) verblutend auf der Straße liegt, vielfach aufgeschlitzt von herunterfallenden Glasscherben, die den Abschluss einer ganzen Reihe von kleinen Missgeschicken bilden. Und wären da nicht immer wieder die Zwischenschnitten auf andere Beteiligte des Unfalls, so könnten wir tatsächlich annehmen, dass wir gerade eine grandiosen Illustration des Zufalls in all seinen verrückten Variationen beigewohnt haben. In Wahrheit lag dem Ereignis ein genialischer Plan zugrunde, war der Tod des Gangsters kein Zufallsprodukt, sondern genauestens und mit meisterhafter Präzision geplant, inszeniert und ausgeführt. Denn genau das ist die Spezialität von Ho Kwok-fai, genannt "Das Hirn" (Louis Koo) und seiner drei Kumpanen. Sie sind Choreographen des Todes und Regisseure des Zufalls, die jeden Mord wie einen Unfall aussehen lassen. Allerdings häufen sich in letzter Zeit die Fehler, was vor allem an Uncle (Shui-fan Fung), dem ältesten Mitglied der Bande liegt, der zunehmend vergesslich und unachtsam wird und auf den sich die anderen immer weniger verlassen können. Und dann geschehen immer wieder Dinge, die "Das Hirn" schon bald auf den Verdacht bringen, dass es da einen unsichtbaren Gegner bringt, der sich gleichfalls auf die geschickte Inszenierung von Zufällen versteht.

Mit enormer Spannung, viel Liebe zum Detail und sehenswertem Schnitt hat Pou-soi Cheang einen tiefgründigen Hongkong-Thriller auf die Leinwand gezaubert, der nichts anderes ist als ein reines Filmvergnügen – und der gegen Ende noch mit einem wahrhaft magischen Moment aufwartet, bei dem dem Zuschauer das Herz aufgehen dürfte. Als "Das Hirn" aufgrund einer fatalen Fehleinschätzung einen teuflischen Plan ausheckt, um einen Konkurrenten auf kreative Weise um die Ecke zu bringen, greift die Sonne höchstpersönlich ein und vereitelt durch ihr Verdunkeln die Mechanik des Todes. Und just in diesem Moment, als die Erde für einen Moment stillzustehen scheint, erkennt auch "Das Hirn", welchem Irrtum, welcher Paranoia er unterlag. Aber so ist das eben, wenn man dem Schicksal ins Handwerk pfuscht – die Magie des Augenblicks geht verloren, weil alles analysiert und in seine Einzelteile zerlegt werden muss. Und es bedarf schon einer wahrhaft göttlichen Intervention, um den Choreographen des Todes aus seinem Lebensirrtum zu befreien, der für ihn nicht weniger bedeutet als die Befreiung aus einer persönlich motivierten Obsession.

Natürlich überlässt Pou-soi Cheang ähnlich wie sein begabter und stets ein wenig melancholischer Killer nichts dem Zufall und so ist der Film genauso überladen, detailversessen und unwahrscheinlich wie die minutiös geplanten Mordanschläge. Der Zwangsläufigkeit des Plans kann man aber als Zuschauer genauso wenig entgehen wie als eines der Opfer. Accident ist ein wahrer Filmrausch und zugleich ein Lehrstück darüber, mit welcher Kreativität, Sinnlichkeit und Eleganz man einen Film über nichts Geringeres über den Zufall machen kann, in den man sich am besten einfach hineinfallen lässt. Gegen so viel Größe und Magie kann man sowieso nichts ausrichten.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/accident-2009