American Graffiti (1973)

A long time ago in a galaxy full of Rock ‘n’ Roll

Eine Filmkritik von Christoph Dobbitsch

Die Sonne geht unter über Mel's Drive-In und es beginnt eine amerikanische Nacht, wie so viele andere. Die Scheinwerfer vorbeifahrender Wagen erhellen die Straßen, Rock 'n' Roll dröhnt aus den Radios, es wird getanzt, geküsst und getrunken. Doch für vier Schulfreunde wird sich einiges verändert haben, wenn die Sonne wieder aufgeht und das echte Leben beginnt. „American Graffiti" wird 50 Jahre alt und portraitiert in schillernden Farben eine Zeit, die schon damals nicht viel mehr war als eine langsam verblassende Erinnerung.

„Where were you in '62?" Das war die Frage, die American Graffiti 1973 stellte. Ein frecher kleiner Steifen, gedreht von einem unbekannten Regisseur namens George Lucas, der vorher nur einen experimentell angehauchten Science-Fiction-Film fabriziert hatte. Lucas‘ Freund und Partner, ein gewisser Francis Ford Coppola, schlug vor, dass er nach diesem Kunstprojekt probieren sollte, ein größeres Publikum anzusprechen. Wie sehr sich das Publikum angesprochen fühlte, übertraf jedoch alle Erwartungen: Das positive Echo an der Kinokasse, in der Filmkritik und sogar bei den Oscars war so laut, dass sich selbst Pauline Kael dazu hinreißen ließ den Film als „nett, aber überbewertet“ herabzuwürdigen zu müssen, um sein Momentum etwas abzufedern. Lucas hatte etwas geschafft, das ihm einige Jahre später mit Star Wars erneut gelingen sollte: Einen Film, bei dem altbekannte Zutaten so stimmig miteinander vermischt sind, dass aus ihnen etwas entsteht, das sich frisch anfühlt. Mit American Graffiti blickt er in seine eigene Jugend zurück und erzählt eine charmante Coming-of-Age-Geschichte, die zwar „down to earth“ ist, aber in manchen Aspekten dennoch Lichtjahre entfernt wirkt.

In einer amerikanischen Kleinstadt trifft sich eine Gruppe von Freunden vielleicht zum letzten Mal. Der verträumte Kurt, seine selbstsichere Schwester Laurie, ihr beliebter Freund Steve, der Draufgänger John, der nerdige Terry „The Toad”. Alle sind dermaßen unterschiedlich, dass ihre Freundschaft geradezu unmöglich wirkt. Doch die Schulzeit hat sie zusammengeschweißt und genau die ist nun vorbei: Eine letzte Nacht gilt es zu durchstehen, ehe es Richtung College geht. Im Laufe der nächsten Stunden werden alle ihre eigenen Abenteuer erleben, die von nostalgischen Ideen, romantischen Idealen und pubertärer Selbstüberschätzung geprägt sind.

Um alle diese Geschichten in Bewegung zu halten und überraschende neue Verbindungen zu erschaffen, wirft American Graffiti sein Publikum in eine Zeit, in der Autofahren der Vorgänger für Facebook, Tinder und Twitter war: Die glänzenden Wagen kreuzen scheinbar ziellos durch die nächtlichen Straßen, während sich durch halboffene Fenster der neueste Klatsch zugerufen wird. Ein kleiner Wink hier, ein kleiner Flirt dort und schon parken die jungen Leute kurz, um zu jemand anderem in den Wagen zu steigen. Das Radio läuft unentwegt und der kultige DJ „Wolfman Jack” sorgt für zusätzlichen Gesprächsstoff. In diesen Momenten versprüht American Graffiti eine nicht unerhebliche Menge an Filmmagie: Zu zeitgemäßer Rockmusik kurven die charaktervollen Fahrzeuge durch die Stadt und lassen die Welt gleichzeitig unglaublich intim und dennoch beinahe grenzenlos wirken. Denn in dieser verwunschenen Nacht kann hinter jeder Ecke ein bekanntes Gesicht oder eine neue Überraschung warten.

Wenn man die Augen etwas zukneift, sieht man bereits Star Wars durch die Leinwand blitzen. Die Fahrzeuge wirken fast wie Raumschiffe – spätestens, wenn Harrison Ford am Steuer eines vorbeifahrenden Wagens sitzt – und der Drive-In mit der Rollschuh-Bedienung könnte auch eine Kantine auf einem fernen Planeten sein. Nichts fühlt sich real an, aber alles wirkt echt. Mehr als echt: Larger than Life. Lucas erschafft ein Universum voller kleiner Geschichten und großer Entscheidungen, voller Legenden-von-Nebenan, sei es die Frage, wo der „Wolfman“ seinen Radiosender hat oder wer der schnellste Rennfahrer der Stadt ist. Ein bestechend unschuldiges Zelluloid-Abbild einer amerikanischen Jugendfantasie. 

Erst auf die letzten Minuten wird diese Fantasie zum Einsturz gebracht und enthüllt unter der glänzenden Fassade eine neue Facette. Im Epilog, der fast etwas zu finster für den Film ist, lässt Lucas seine Protagonisten einer häufig düsteren Zukunft entgegensteuern. Für ihn scheint das Jahr 1962, das er sich als Setting aussucht, nicht nur das Ende seiner eigenen Jugend zu verzeichnen, sondern auch das Ende einer größeren Unschuld. Seine politische Agenda und die Kritik am Vietnamkrieg wird er auch in den Star-Wars-Filmen beibehalten, aber seine Enden werden optimistischer sein, und seine Geschichten leider weniger persönlich. Die Star Wars-Filme, in denen Lucas alles, was ihn popkulturell geprägt hat, in einer wunderbaren Pastiche miteinander vermengt, sind eindeutig das Ergebnis einer großen Filmliebe: Epische Geschichten, die widerspiegeln, was ein kleiner Junge damals im Kino sah. Doch American Graffiti repräsentiert das, was dieser Junge außerhalb der Leinwand liebte: Die Musik, die Autos und vor allem die Menschen. Vielleicht ist es diese Ehrlichkeit, die das Publikum damals wie heute elektrisierte. Trotz einer bitteren Endnote gelingt Lucas ein Kunststück, dass seit jeher gute Filme auszeichnet: American Graffiti weckt die Sehnsucht nach einen Ort und einer Zeit, die die meisten von uns nie erlebt haben. Und die vielleicht in dieser Form ohnehin nur auf der Leinwand existieren konnte.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/american-graffiti-1973