Die wilde Farm

Die Freiheit der Tiere

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Was wird aus einem Haustier ohne Menschen? Vermutlich bricht das Chaos aus, indem Katz und Maus auf den Tischen tanzen. So passiert es denn auch in diesem Dokumentarfilm von Dominique Garing und Frédéric Goupil, denn ein alter Bauer wird ins Krankenhaus eingeliefert und muss seinen Hof mitsamt dem Getier alleine lassen. Sehr schnell entdecken die domestizierten Tiere ihre archaischen Triebe und stürzen den gepflegten Bauernhof in ein animalisches Durcheinander.
Ganze drei Tage bleiben die Tiere des Gehöftes auf sich allein gestellt, denn so lange dauert es, bis die Enkel des Bauern sich um den Hof kümmern. Während dieser Zeit sieht man keinen einzigen Menschen in der Dokumentation und der Film konzentriert sich auf die eigentlichen Protagonisten, die Vierbeiner und das Federvieh. Die genießen ihre ungewohnte Freiheit und geben sich ganz ihrer Lebensfreude hin, die aus Fressen, Putzen und Schlafen besteht. Dem Zuschauer wird der distanzierte Kamerablick auf das Alltagsleben der nun emanzipierten Tiere gezeigt, das unter anderem daraus besteht, dass sich Pferde paaren, ein Fohlen geboren wird, die Katze Jagd auf den Goldfisch macht und die Mäuse die Stromkabel anknabbern (erstaunlicherweise ohne einen Schlag zu bekommen). Auch die Schweine erweitern ihr Revier und brechen kurzerhand aus ihrem Stall aus, um sich anschließend in den Gemüsebeeten zu wälzen. Einen Revierkampf ganz anderer Art fechten die Hähne aus, denn der neue von den Enkeln des Bauern mitgebrachte schwarze Gockel versucht einen Schlaf- und Lebensplatz zu finden, wird aber von dem alteingesessenen Geflügel immer wieder vertrieben, bis er es sich schließlich in einem alten Autowrack gemütlich macht.

Wer jetzt an George Orwells Farm der Tiere denkt, der hat weit gefehlt, denn wie es scheint, wollten die beiden Filmemacher vor allem zeigen, dass die heimische Tierwelt bunter ist als gedacht und dass der ganze Hype um exotische Tiere zwar sehr interessant ist, aber auch in der uns unmittelbar umgebenden Natur sich der Blick hinter die Kulissen lohnt. So sieht man erstaunliche Bilder von frechen Mäusen, tobenden Pferden, jagenden Füchsen, gefräßigen Igeln und suhlenden Schweinen. Neue wesentliche Erkenntnisse liefert Die wilde Farm zwar nicht, aber um Kinder und Erwachsene für heimische Tiere zu sensibilisieren, ist er geradezu perfekt. Glücklicherweise verzichtet der Film darauf – anders als bei George Orwell - den Tieren Stimmen zu geben. Aber es soll ja auch keine politische Botschaft damit verbunden werden, sondern lediglich zeigen, dass Frösche, Enten und Regenwürmer genau so interessant sind, wie Eisbären oder Giraffen. Die kommentierende Stimme wird dem Menschen überlassen, und so hört man aus dem Off Luise Bähr, die durch den Film führt, aber vor allem die Bilder sprechen lässt. Einziger Wermutstropfen ist die unbeschränkte Altersfreigabe, denn die Jagd des Fuchses auf einen Hahn oder die Paarungen zwischen Hengst und Stute dürfte für die ganz Kleinen ziemlich schockierend sein. Vielleicht sind die Kids aber mittlerweile schon so aufgeklärt, dass sie darüber nur müde lächeln?

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-wilde-farm