Guru - Bhagwan, His Secretary & His Bodyguard

Sehnsucht nach dem neuen Menschen

Eine Filmkritik von Peter Gutting

War er ein "Erleuchteter" oder ein Scharlatan mit 96 Rolls-Royce? Ein "Sex-Guru" oder religiöser Erneuerer? Das wird man wohl nie eindeutig klären können. Denn der indische Meditationslehrer Bhagwan Shree Rajneesh provozierte für sein Leben gern und kalkulierte Selbstwidersprüche bewusst ein. Aber sogar für seine Gegner und Feinde blieb der 1990 gestorbene Guru ein Faszinosum. So faszinierend wie der sehenswerte Dokumentarfilm, den die Schweizer Regisseure Sabine Giser und Beat Häner über ihn und zwei seiner ehemaligen Jünger gedreht haben.
Die beiden Schweizer begegnen der heute noch polarisierenden Auseinandersetzung um die Bhagwan-Kommunen im indischen Poona und später im amerikanischen Oregon mit einem verblüffend einfachen Konzept. Sie lassen Sheela Birnstiel, die ehemalige Sekretärin Bhagwans, und Hugh Milne, seinen Leibwächter für sieben Jahre, ihre Sicht der Dinge schildern – in zwei getrennten, berührenden Interviews. Dazwischen schneiden sie Archivmaterial aus der Geschichte Bhagwans und seiner Neo-Sannyasins, wie die orange oder rot gekleideten Anhänger genannt wurden. Dadurch entsteht eine chronologisch aufgebaute Erzählung, die dem Zuschauer viel Raum lässt, sich sein eigenes Bild zu machen.

Bhagwan war Professor für Philosophie und hatte in seinen Vorträgen über neue Meditationstechniken berichtet, als 1971 und vor allem seit 1974 ganze Heerscharen westlicher Jünger auf ihn aufmerksam wurden. Hippies, enttäuschte 68er und Aussteiger aller Art suchten bei ihm einen Lebensentwurf, der schon in den anderen Aufbrüchen der späten 1960er Jahre eine Rolle gespielt hatte. Es ging um eine neue Form des Bewusstseins und des Zusammenlebens – intensiver, friedlicher und freier als man das in den Nachkriegsgesellschaften des Westens gewohnt war, gerade auch in sexueller Hinsicht. Bhagwan war sozusagen der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Er verkörperte die Sehnsucht nach einem neuen Menschen, nach der Synthese aus den spirituellen Erfahrungen des Ostens und dem Materialismus des Westens.

Natürlich sind die Schilderungen von Sheela und Hugh subjektiv, aber man merkt beiden schon in den ersten Einstellungen an, dass hier zwei Menschen sprechen, denen es nicht um Rache geht – obwohl sie vielleicht guten Grund dazu hätten. Sheela saß nach ihrem Bruch mit Bhagwan dreieinhalb Jahre im Gefängnis. Hugh geriet in eine tiefe seelische Krise, als er die Kommune verließ. Er unternahm einen Selbstmordversuch und war monatelang in einer psychiatrischen Klinik.

In den sensiblen, zum Teil sehr persönlichen Porträts zeichnet Guru – Bhagwan, His Secretary & His Bodyguard das Bild zweier Menschen, die heute eine innere Beseeltheit ausstrahlen und den Eindruck vermitteln, als hätten sie sowohl die guten wie auch die schmerzlichen Erfahrungen ihres Sannyasin-Daseins in beeindruckender Weise verarbeitet. Sheela baute nach ihrer Haftentlassung in der Schweiz zwei Heime für ältere und behinderte Menschen auf. Hugh wandte sich der Cranio-Sacral-Therapie zu, einer alternativmedizinischen Behandlungsform, die sich aus der Osteopathie entwickelt hat. Er hat darüber ein Standardwerk geschrieben und ist Leiter des von ihm gegründeten Ausbildungsinstituts für Cranio-Sacral-Therapeuten.

Und was wurde aus Bhagwan und seinem geistigen Erbe? Er ging 1987 nach Poona zurück und legte den Namen "Bhagwan" zugunsten von "Osho" ab. In Poona gibt es heute das "Osho Meditation Resort", ein Meditationszentrum mit jährlich 100.000 Besuchern. Und das Werk des umstrittenen Gurus wird sogar vom indischen Premierminister bewundert.

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