Das Ende ist mein Anfang

Eine charismatische Persönlichkeit

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Bruno Ganz ist wieder da. Nach seiner eher umstrittenen Rolle als Hitler in Der Untergang und ein paar kleineren Parts mimt der Theater- und Filmstar einen charismatischen Journalisten: Tiziano Terzani. Der wurde vor allem durch das Buch bekannt, nach dem auch der einfühlsame Film von Jo Baier benannt ist: Das Ende ist mein Anfang.
Rein faktisch ist die Handlung des lebensweisen Films schnell erzählt. Drei Monate vor seinem Tod im Alter von 65 Jahren ruft der ehemalige Ostasienkorrespondent des "Spiegel" seinen Sohn Folco (Elio Germano) zu sich in die Toskana, um mit ihm über sein Leben und seinen bevorstehenden Tod zu sprechen. Die tagelangen Interviews soll der Sohn zu einem Buch zusammenfassen. Der Reiz dieser Geschichte liegt dabei weniger in den glanzvollen Erzählungen des begnadeten Journalisten, der viele geschichtsträchtige Ereignisse hautnah miterlebte, vom Vietnamkrieg über die Roten Khmer bis zum maoistischen China. Er liegt darin, wie vielschichtig sich hier das Bild eines ebenso beeindruckenden wie widersprüchlichen Menschen entfaltet.

Obwohl äußerlich wenig passiert, baut Regisseur Jo Baier schon in der ersten Begegnung zwischen Vater und Sohn eine Spannung auf, die bis zum Ende trägt. Sie beruht auf einem klugen Drehbuch (Folco Terzani und Ulrich Limmer), das die vielen Facetten eines erfüllten Lebens erst nach und nach preisgibt. Und sie beruht auf einer Schauspielkunst, die bei aller Intimität den Figuren ihre Geheimnisse lässt (neben den beiden Männern ist Erika Pluhar als Tizianos Ehefrau Angela zu sehen, erstmals seit Langem wieder in einer Kinorolle).

Es geht also um das Leben eines leidenschaftlichen Idealisten, der für die Armen kämpfte, aber vom Maoismus schwer enttäuscht wurde und sich am Ende seines Lebens, unter dem Einfluss einer Krebserkrankung, der fernöstlichen Philosophie zuwandte. Und es geht um das Sterben, selbst wenn dies nach Tizianos spiritueller Sichtweise "nur" ein Verlassen des Körpers und ein Einswerden mit dem Kosmos bedeutet. Das ist eine von vielen Stärken dieser filmischen Vorbereitung auf das Ende: dass man als Zuschauer diese letzten Monate so erlebt, wie sie Tiziano Terzani selbst erfahren wollte, nämlich als einen wunderschönen Lebensabschnitt, in der der Geist hellwach ist und dem streikenden Körper ein paar zauberhafte Erlebnisse abtrotzt - in einer herbstlich-satten, freundlichen Natur, für die Kamerafrau Judith Kaufmann immer wieder überraschende, wie neu erfundene Bilder schafft.

Dass sich die Menschen und die Natur hier so versöhnt zeigen, hängt sicher auch damit zusammen, dass sich das Filmteam entschloss, in dem Haus zu drehen, in dem Terzani mit seiner Familie wirklich lebte. Es ist ein Zufluchtsort hoch an einem Berghang, einsam im Wald gelegen, in Sichtweite eines kleines Dorfes. Hierher hat sich der Weitgereiste immer wieder zurückgezogen, hier war er wirklich zuhause, von hier aus versteht man seine Persönlichkeit am besten.

In einer der schönsten Szenen des Films steigen Vater und Sohn ein letztes Mal auf einen Berg. Der Sohn lässt den Vater auf dem Gipfel ein paar Minuten allein, intuitiv spürend, welche meditative Kraft die Einsamkeit freisetzt. Das Bild fasst zusammen, was diese ebenso zärtliche wie konflikthafte Vater-Sohn-Beziehung ausmacht. Im gemeinsamen Einssein mit der Natur sind sie doch selbstständige Menschen, so wie der Vater sich das immer von seinem Sohn gewünscht hatte – und ihn paradoxerweise dazu antreiben wollte: dass er ganz er selbst wird und ein eigenständiges Leben führt, ohne fremde Wünsche zu erfüllen. Nicht einmal die seines geliebten Vaters.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/das-ende-ist-mein-anfang