Hochzeitspolka

Der "schönste" Tag im Leben

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Wenn einer sich wünscht, dass der Gang zum Traualtar zum "schönsten Tag" seines Lebens wird, dann weiß man schon: Daran wird er sich tatsächlich bis zu seiner letzten Stunde erinnern – aber nicht in der erhofften Weise. Trotzdem ist es gar nicht so leicht, aus dem Stereotyp eine Komödie zu basteln. Zu vorhersehbar sind die Katastrophen, die da lauern. Umso bemerkenswerter ist deshalb die Leistung von Regisseur Lars Jessen (Am Tag, als Bobby Ewing starb), der in seinem neuen Film die Klippen der Klamotte elegant hinter sich lässt.
Einmal Rock’n’Roll, immer Rock’n’Roll? Leadsänger Frieder (Christian Ulmen) beantwortet die Frage mit einem klaren "Nein". Statt weiter mit seiner Band "Heide Hurricane" die norddeutsche Provinz zum Kochen zu bringen, geht der strebsame junge Mann (Anfang 30) nach Polen. Dort warten ein Job als Geschäftsführer, ein nagelneues Eigenheim und die schöne Gosia (Katarzyna Maciąg). Am Tag vor der Hochzeit wähnt sich Frieder am Ziel seiner Träume – doch plötzlich stehen unangemeldet die alten Band-Kumpels vor der Tür. Die haben mit Frieders neuem Lifestyle rein gar nichts am Hut und wollen es zum Junggesellenabschied noch einmal richtig krachen lassen. Dabei sorgt die blonde Stripperin, die sie mitgebracht haben, noch für den geringsten Sprengstoff.

Während nämlich der harmoniesüchtige Frieder versucht, einen guten Polen abzugeben, schlagen die Jungs aus der Heide allem Fremden gegenüber einen härteren Ton an. Schon sind wir mittendrin im Zusammenprall zweier Kulturen, in dem beide Seiten weder Vorurteile noch Tabus meiden. Das führt zu einem reinigenden Gewitter, bei dem der Blitz auch noch in ein paar andere Lebenslügen einschlägt. Dabei gelingt es Lars Jessen, seinem Co-Regisseur Przemyslaw Nowakowski und den munter aufgelegten Schauspielern scheinbar mühelos, eine komische Balance zu halten zwischen Gesellschaftssatire, Hochzeitsfilm und Selbstfindungsdrama. Die Geschichte (Drehbuch: Ingo Haeb) gibt uns jede Menge Hinweise, dass die ganzen Zeremonien und traditionellen Bräuche schon bald aus dem Ruder laufen werden. Aber es kommt gottseidank fast immer anders, als man denkt.

Meistens genügt ein Blick in das Gesicht von Fabian Hinrichs (Schwerkraft), um zu wissen, dass schon bald neues Unheil droht. Hinrichs mimt Frieders eifersüchtigen Band-Kumpel Jonas und verkörpert mit seiner blitzartig aufbrechenden, unter der Oberfläche brodelnden Aggressivität den perfekten Gegensatz zu dem wie immer etwas verschusselten Christian Ulmen (Herr Lehmann). Der ist ebenfalls eine Traumbesetzung. Denn mit seinem hilflosen Augenaufschlag und der scheinbar unendlichen Sehnsucht nach ein bisschen Glück wäre der Mann mit dem angeborenen Instinkt für Fettnäpfchen schon in der Heimat überfordert. Wie aber erst in einer fremden Kultur! Schon in Maria, ihm schmeckt’s nicht hatte Christian Ulmen den Schock des Andersartigen angetestet. Aber das war eigentlich nur eine Art Vorspiel zu Hochzeitpolka. Hier setzt er seinem tollpatschigen Charme erst die richtigen, weil weniger vorhersehbaren Glanzlichter auf.

Übrigens gibt es "Hurricane" wirklich. Nicht als Band, sondern als Open-Air-Festival in der Lüneburger Heide. Und wenn wir schon bei den großen Namen der Musikszene sind: Für Hochzeitspolka haben "Die Toten Hosen" ihre Version von "Eisgekühlter Bommerlunder" noch einmal neu eingespielt – auf Polnisch. Und für den Soundtrack zeichnet – wie schon bei Jessens Film Dorfpunks - Jakob Ilja von "Element of Crime" verantwortlich. Am Ende ist es halt doch eher der Rock’n’Roll als das schicke Eigenheim, was zählt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/hochzeitspolka