Patrik 1,5

Adoptivsohn wider Willen

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Es ist schon wohltuend zu registrieren, dass das Kino sich in letzter Zeit zunehmend darauf besinnt, die repräsentierten Familienbilder den längst gewandelten Realitäten anzupassen. Neben Lisa Cholodenkos sehr komischem und überaus empfehlenswertem The Kids Are All Right, der am 18. November in die deutschen Kinos kommen wird, widmet sich auch die schwedische Filmemacherin Ella Lemhagen (Tsatsiki – Tintenfisch und erste Küsse) in ihrem neuesten Film Patrik 1,5 dem Topos der gleichgeschlechtlichen Familie. Das Erfreuliche dabei: Wie Cholodenko so ist auch der Schwedin ein vor allem sehr unterhaltsamer Film gelungen, der trotz oder gerade wegen seines engagierten Themas viel Vergnügen bereitet.
Eigentlich ist das Glück von Göran Skoogh (Gustaf Skarsgård) und Sven (Torkel Petersson) perfekt – gerade eben haben sich die beiden in einem schönen Haus mit großem Garten niedergelassen und Göran hat die Nachfolge des nicht sehr beliebten Allgemeinmediziners im Ort angetreten. Und die spießigen Nachbarn haben sich nach der ersten Überraschung mit dem Gedanken arrangiert (angefreundet wäre wohl zuviel gesagt), dass ihre neuen Nachbarn eben doch keine ganz "normale Familie" sind. Kurzum. Alles ist wunderbar – wäre da nicht Görans Kinderwunsch. Obwohl in Schweden homosexuelle Paare seit dem Jahre 2002 gleichberechtigt sind, macht ihnen die Adoptionsbehörde wenig Hoffnung darauf, dass ihr Vorhaben tatsächlich gelingen könnte. Umso größer ist die Freude, als ihnen dann doch ein eineinhalbjähriges Kind namens Patrik angekündigt wird. In Windeseile wird ein leerstehendes Zimmer liebevoll mit Gitterbettchen und Babymonitor ausgestattet. Als das Kind dann aber vor der Tür steht, folgt die Ernüchterung. Durch einen Kommafehler entpuppt sich das vermeintliche Kleinkind als 15-jähriger Teenager (Tom Ljungmann), der nicht nur aus einer sozial zerrütteten Familie kommt, sondern zudem gewalttätig und durch und durch homophob ist. Das hatten sich seine beiden Väter in spe wohl etwas anders vorgestellt.

Da der Knabe schon straffällig geworden und seine Gewalttätigkeit minutiös dokumentiert worden ist, werden eilig die Küchenmesser weggeräumt und die Babykamera dazu umfunktioniert, den Rabauken in seinem neuen Zuhause zu beobachten. Zudem wechseln sich die beiden Männer in der ersten Nacht im Schichtdienst dabei ab, Patrik zu überwachen. Denn für sie ist vollkommen, klar, dass Patrik keinen Moment zögern wird, sie entweder auszurauben oder gleich zu ermorden – oder beides nacheinander. Das Misstrauen ist aber keineswegs einseitig, auch Patrik ist wenig erfreut davon, wo er hingeraten ist und kommuniziert vor allem mit hässlichen Beschimpfungen und ostentativ zur Schau getragener Verachtung für die beiden "Schwuchteln", von denen er wiederum annimmt, dass sie sich bei der erstbesten Gelegenheit auf ihn stürzen. Statt Kinderglück herrscht bald offener Krieg in dem eigentlich recht friedlichen Haus, bis Sven das Chaos nicht mehr aushält und sich wieder in den Suff flüchtet, aus dem er gerade erst ausgestiegen ist.

Als sich Göran und Patrik dann doch während Svens Flucht vorsichtig aneinander annähern, scheint sich zunächst alles zum Guten zu wenden. Bis sich abermals die Adoptionsbehörde einschaltet und Patrik die frohe Botschaft mitteilt, dass sich nun eine wohlhabende und vor allem heterosexuelle Familie bereit gefunden habe, ihn bei sich aufzunehmen...

Schon der beinahe kitschige Beginn des Films, bei dem die farbenfrohe Spießigkeit der Kleinstadt lustvoll aufs Korn genommen wird, macht klar, dass Ella Lemhagen trotz der zahlreichen angerissenen zwischenmenschlichen Probleme vor allem eine schräge Familienkomödie im Sinn hatte, als sie das Drehbuch zu Patrik 1,5 nach dem gleichnamigen Theaterstück von Michael Druker schrieb. Umso beachtlicher ist es, was sie alles in ihren Film hineingepackt hat. Neben dem eigentlichen Konflikt zwischen Patrik und seinen beiden Vätern geht es um Akzeptanz und Toleranz, um verschiedene schwule Lebensmodelle zwischen Anpassung an die heterosexuelle Umwelt und neue Familienmodelle, die selbst im liberalen Schweden von viel Misstrauen begleitet sind.

In kräftigen Farben und mit viel warmherzigen Humor gelingt dem Film das Kunststück, eine ebenso ungewöhnliche wie unterhaltsame Familienkomödie auf die Leinwand zu zaubern, die die Tradition schwedischer Feeld-good-Filme um eine weitere Facette ergänzt.

Und das ist auch gut so...

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/patrik-1-5