I´m Still Here

Sei still, du nervst!

Eine Filmkritik von Patrick Welllinski

Dieser Film hätte das Zeug gehabt ein ganz großer Wurf zu werden. Dieser Film, so es denn beabsichtigt gewesen wäre, hätte eine clevere Studie über die Wahrheit und Lüge im Showbusiness sein können. Ein fiktionaler Dokumentarfilm – also ein Mockumentary – über einen Star, der seine Schauspielkarriere an den Nagel hängt, um sich endlich in der Musik verwirklichen zu können und damit seine gesamten Fans und Bewunderer vor den Kopf stößt. Und das inklusive Sex, Drogen und Schlüssellochperspektive. Doch all das ist Casey Afflecks laut umworbener I'm Still Here nicht geworden. In Wahrheit, ist seine Arbeit ein lautes, nerviges und hoch prätentiöses Nichts.
Dabei war die Prämisse äußerst vielversprechend. Nach seiner Oscar-Nominierung für die Verkörperung der Countrylegende Johnny Cash in Walk the Line verkündete Joaquin Phoenix, dass er auf dem Höhepunkt seiner Karriere aufhöre und jetzt in die Musikbranche wechseln werde. Diesem öffentlichen Geständnis folgte eine ungeheure Medienlawine, die teils belustigt, teils empört über den Star berichtete. Als dann noch verkündet wurde, dass Casey Affleck über den Sinneswandel seines Schwagers einen Dokumentarfilm drehen werde, wurden bereits leise Zweifel angebracht, ob es sich bei der ganzen Sache nicht um einen großen Fake handelt.

Das frustrierende Ergebnis dieses gehypten Films bestätigt die Kritiker der ersten Stunde. Afflecks Film lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass fast alles, was sich vor dem Objektiv abspielt, ein ganz bemühter Versuch ist, den Fake als Tatsache zu verkaufen. Man sieht, wie sich Phoenix mit seinem ungepflegten Bart und Sonnenbrille durch sein Leben flucht, kifft und vögelt; wie er verzweifelt versucht seine fürchterlichen Rapversuche P. Diddy als ultimative Selbstverwirklichung zu verkaufen, oder wie er mit seinem Ausstieg seine Kollegen, Mitarbeiter und die Journalisten vor den Kopf stößt. Und Casey Affleck ist mit seiner Kamera immer ganz nah dabei.

Ärgerlich ist hier vor allem, dass der Film so ambitionslos ist. Die Boulevardpresse wird sich mit Genuss auf ihn werfen und behaupten, das er den Alltag eines Stars realitätsnah bebildere. Doch dann sieht man Phoenix, wie er Prostituierte aufs Zimmer bestellt, von ihren Brüsten kokst und einen Blow-Job genießt – und die einzige Reaktion, die dieser Pseudoschock verursacht ist: Na und? Ganz schlimm wird es allerdings, wenn man sich die lästigen Wutausbrüche von Phoenix ansehen muss. Sein ständiges Gebrabbel von Selbstverwirklichung und wahrer Kunst, hält man keine zwanzig Minuten aus und wünscht sich, er würde für den Rest des Films einfach seinen Mund halten.

Es stellt sich daher die Frage: Warum soll man sich diese nervige Nabelschau bloß ansehen? Wer einen tiefen Einblick in die obskure Leere eines Starlebens werfen und die Künstlichkeit des Hollywoodsystems erkunden möchte, der sehe sich doch bitte Sofia Coppolas famose Einsamkeitsstudie Somewhere an. In ihr steckt mehr Wahrhaftiges als in jedem Bildkader von I'm Still Here. Vielleicht wollte Affleck ja einen enthüllenden Film über die unwirklichen Medienzirkus drehen, der durch solch eine provozierende Staraussage ausgelöst wird. Tatsächlich gibt es in I'm Still Here ein paar Momente, die zeigen, was dies für ein Werk hätte werden können. In einer witzigen Bildercollage zeigt Affleck, wie Phoenix' öffentliches Auftreten schnell kopiert wurde. Nicht nur im Internet sah man plötzlich wesentlich mehr grimmige Bartträger mit Sonnenbrille, sondern auch das Showbusiness sprang auf diesen Zug auf. So sehen wir Ben Stillers fantastischen Auftritt bei den Oscars, wo er neben Natalie Portman den gelangweilten Phoenix-Klon gibt. Doch sowohl diesen Fernsehmitschnitt, als auch Phoenix' Auftritt bei Late-Night-Talker Letterman kennt man schon zur Genüge. Außerdem können zwei vergnügliche Minuten keinen Film retten.

Was allerdings wirklich stört ist das unschöne Gefühl, dass man hier als Zuschauer einfach nur verarscht wird. Man kommt sich vor, als hätten Affleck und Phoenix aus einer Bierlaune heraus beschlossenen ein Mockumentary zu drehen, um sich dann köstlich über alle zu amüsieren, die ihn sehen und verzweifelt versuchen der Idee hinter diesem Werk einen Sinn zu geben. Das ist dann auch zynisch und man sehnt sich förmlich nach der herrlichen Infantilität von Jackass.

Am Ende fasst der Film sich selbst am besten zusammen. Eine Moderatorin des US-Fernsehens sagt darin: "Ist das alles wahr oder ist die ganze Sache nichts weiter als ein großer Fake? Und überhaupt: wen interessiert's?" Ja genau: wen interessiert's?

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/im-still-here