Plug & Pray

Wenn Forscher Gott spielen

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Wenn man es nicht mit eigenen Augen sehen würde, würde man es nicht glauben: Hoch bezahlte Wissenschaftler erklären allen Ernstes, dass die Menschen in 50 Jahren Roboter heiraten würden. Über die Fantasien und konkreten Projekte künstlicher Intelligenz hat Jens Schanze eine ebenso informative wie erschreckende Dokumentation gedreht.
Der Regisseur dringt in Bereiche vor, die von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden, obwohl sie keineswegs geheim sind. Er besucht zum Beispiel den japanischen Professor Hiroshi Ishiguro, der mit Silikon und der neuesten Robotertechnik einen künstlichen Zwilling von sich selbst gebaut hat. Oder er fährt nach Genua, wo Giorgio Metta am "iCub" arbeitet, einem "Kind", das aus Irrtümern lernen soll. Oder er spricht mit dem Amerikaner Ray Kurzweil, der davon ausgeht, dass in 25 Jahren die Technik, die heute die Größe eines Handys hat, in einer Blutzelle stecken wird – was dazu führt, dass die Zellen nie mehr altern und es keine Krankheiten mehr geben wird.

So bizarr diese Ideen anmuten mögen: Sie sind nur die Spitze eines Eisbergs, den Jens Schanze mit bestechender Allgemeinverständlichkeit freilegt. Denn der eigentliche Protagonist des Films ist Joseph (Joe) Weizenbaum. Er weiß sowohl von den Verlockungen wie von den Gefahren, Gott zu spielen – und kennt die Anfänge des Computerzeitalters wie nur wenige. Der 2008 gestorbene Deutsch-Amerikaner war dabei, als 1948 einer der ersten elektronischen Rechner gebaut wurde. 1966 entwickelte er das Spracherkennungsprogramm "Eliza", für damalige Zeiten ein revolutionärer Durchbruch.

Der Regisseur hat Weizenbaum im Sommer 2005 zum ersten Mal besucht und ihn über drei Jahre bis kurz vor seinem Tod interviewt. Der weise alte Mann engagierte sich bis zuletzt gegen den Wahnsinn und die Allmachtsfantasien seiner Forscherkollegen. Denn "Eliza" war für ihn ein Wendepunkt. Er wurde sozusagen vom Saulus zum Paulus und warnte rund 40 Jahre vor der Überschreitung einer Grenze: der Grenze zwischen der künstlichen Intelligenz als bloßem Instrument und der Entwicklung von Maschinen, die ein Eigenleben entwickeln.

Schon "Eliza" war weniger harmlos als Weizenbaum dachte. Der sprechende Computer hatte unter anderem ein Sprachprogramm, das "Doktor" hieß und wie ein Psychotherapeut agieren konnte, indem es Sätze sagte wie "ich verstehe Ihr Problem" oder "wie war das damals in Ihrer Familie". Dass das mehr als Spielerei war, merkte Weizenbaum spätestens, als er seine Sekretärin dabei "erwischte", wie sie dem Computer von Problemen mit ihrem Freund erzählte. Es mag ja sein, dass es Menschen erleichterte, wenn sie sich einer Maschine anvertrauten. Aber Weizenbaum besteht anhand dieses Beispiels auf einem Unterschied, der den Schlüssel zu seinem Denken und zu dem gesamten Film liefert: Wenn der Computer sagt, "ich verstehe Sie", dann ist das einfach eine Lüge, weil das Verstehen ein menschliches Mitgefühl voraussetzt, das hier nur vorgetäuscht wird.


Es ist genau diese Grenze, die die heutigen Forscher überschreiten, ganz bewusst und in dankenswerter Klarheit. Sie sprechen offen darüber, dass die künftigen Maschinen menschliche Eigenschaften bekommen sollen: Emotionen, Eigenverantwortung, autonome Entwicklung. Dass damit der Unterschied zwischen Mensch und Maschine verschwindet, ist das erschreckend ehrlich formulierte Ziel. Plug & Pray muss daher gar keine Polemik betreiben. Der Film behandelt Pro und Kontra in fairer Weise. Er gibt beiden Positionen denselben Raum, auch wenn natürlich durch die raffinierte und spannende Montage völlig klar wird, wem die Sympathien des Regisseurs gehören. Schließlich ist Joseph Weizenbaum eine faszinierende Persönlichkeit. Obwohl ihm die Ärzte wegen seiner Krebserkrankung nur noch wenig Zeit zu leben vorausgesagt haben, erscheint der alte Mann viel lebendiger als seine jüngeren Kollegen, die den Tod abschaffen wollen. Diese Paradoxie führt zu einer der schönsten Parallelmontagen des Films. Hier der Sterbenskranke, der seine letzten Tage mit voller Energie auskostet. Dort der verkniffene Lebensverlängerer, der schon heute einen recht abgestorbenen Eindruck macht.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/plug-pray