La Danse

So nah und doch so fern

Eine Filmkritik von Lena Kettner

Tanz – das ist die Überwindung der Schwerkraft, die Auflösung von Raum und Zeit. Es ist der Ausdruck eines Bewegungsrausches, gelenkt durch den Rhythmus der Musik. "Der Körper des Tänzers ist einfach die leuchtende Äußerung der Seele", so formulierte es einst die amerikanische Tänzerin und Choreografin Isadora Duncan.
Die Passion für den Tanz, aber auch die Angst vor dem Versagen prägen das Leben der Ballettkompagnie der "Opéra national de Paris". Ihre ganze Energie widmen deren Mitglieder dem Tanz, in der Hoffnung, an diesem Haus ihr volles Potential ausschöpfen zu können. Ein geschlossener Mikrokosmos, an dem international bekannte Choreografen die Tänzer zu Höchstleistungen motivieren. Dem amerikanischen Dokumentarfilmer Frederick Wiseman gelang es nun, nach seinem Porträt der Comédie Française im Jahre 1996 (La Comédie-Française ou L'amour joué) in seinem neuen Film La Danse einen Blick hinter die Kulissen einer der berühmtesten Ballettkompanien der Welt zu werfen.

Langsam streift die Kamera die ehrwürdigen Hallen des Palais Garnier entlang, bahnt sich ihren Weg durch die verwinkelten unterirdischen Gänge mit den großzügigen Probenräumen hin zum edlen und pompösen Theatersaal mit den 2.200 scharlachroten Samtsesseln. Heute finden in dem opulenten Bau aus dem 19. Jahrhundert hauptsächlich Ballettaufführungen statt, seit im Jahre 1989 zur Entlastung des bis zu diesem Zeitpunkt zentralen Opernhauseses die Opéra Bastille eröffnet wurde. Dabei finden traditionelle Inszenierungen wie Tschaikowskis Nussknacker ebenso Eingang in das Repertoire der Kompanie wie zeitgenössische Choreographien von Mats Ek oder Sasha Waltz.

Erwartet man zunächst noch eine spannende Innenansicht dieses riesigen künstlerischen Apparats, wird schnell klar, dass sich die Kamera nicht aus ihrer rein dokumentierenden Position heraus lösen kann und will. Frederick Wiseman verzichtet in La Danse wie auch in seinen Filmen zuvor auf Interviews und Kommentare. In lose aneinandergereihten Sequenzen zeigt der Film die Probenarbeiten der Tänzer, die Premieren der Stücke auf der großen Bühne, aber auch die Fundraising-Debatten der Direktorin der Ballettkompanie, Brigitte Lefèvre, sowie die Anfertigung der Kostüme in den Schneiderateliers der Oper. Anstatt den Entstehungsprozess einer Produktion zu begleiten, werden sieben Choreographien präsentiert – von Rudolf Nurejews traditionellem Nussknacker bis hin zu Mats Eks radikaler und düsterer Darstellung der menschlichen Beziehungen in Das Haus der Bernarda Alba. Perfekte Körper in perfekten Posen, unter ihnen Koryphäen des Ballettanzes wie Nicolas Le Riche oder Marie-Agnes Gillot. Schnelle Sprünge zwischen Probensituation und Aufführungen der einzelnen Choreographien sowie der Verzicht auf einen erklärenden Untertext erschweren die Innenansicht einer geheimnisvollen Welt, die für den Nicht-Ballettomanen somit verschlossen bleibt.

La Danse zeichnet kein Porträt der Menschen in dieser bedeutenden Ballettkompanie, sondern bietet Beobachtungen der Räume, in denen sich diese bewegen. Dabei lenkt die Kamera den Blick oft auf die labyrinthischen Gänge und Treppenhäuser der Oper, die mehrere Male in Großaufnahme gezeigt werden. Fast wirken diese Aufnahmen wie eine Verlegenheitslösung, wie eine Überbrückung der Wartezeit, bis der Regisseur endlich wieder Zugang zu den heiligen Probehallen erhält. Den tatsächlichen Entstehungsprozess einer Choreographie kann Wiseman ohnehin nicht zeigen, denn kaum ein Choreograph war wohl dazu bereit, seine künstlerischen Arbeitsmethoden vor der Kamera offen zu legen. Selten wird ein Tänzer in Großaufnahme gezeigt, nur wenige Male sieht man erschöpfte Tänzer, die am Rande des Probengeschehens durch Dehnübungen versuchen, ihre Schmerzen zu bekämpfen.

So ist La Danse mehr ein Werbefilm für die Ballettkompanie als ein intimer Einblick in einen geschlossenen Mikrokosmus. Geschönt und geglättet wirken vor allem die Darstellungen der Probensituationen. Denn trotz strengem Umgangston herrscht hier scheinbar immer eine vollkommene Harmonie zwischen Choreographen und Tänzern. Und sobald sich eine Störung dieser Harmonie anzubahnen droht - wie während einer Versammlung der Companie mit der Ballettdirektion bezüglich der neuen Rentenbestimmungen - blendet die Kamera vorsorglich ab. Frederick Wiseman, der laut eigener Aussage nicht nur einen Film über Tanz, sondern vor allem über den Verwaltungsapparat hinter dieser Institution machen wollte, gelingt es lediglich in Ansätzen, den schwierigen Spagat zwischen künstlerischem Anspruch und finanziellen Zwängen an diesem Haus darzustellen.

Das Palais Garnier wird auch nach La Danse ein Ort des Zaubers und der Geheimnisse bleiben, an dem durch technische Brillanz und große Ausdrucksstärke unvergesslichen Aufführungen gelingen. So faszinierend die grazilen Bewegungen der Tänzer sein mögen: Für Ballettliebhaber liefert dieser Film zu wenig neue Erkenntnisse und ein Ballettlaie wird sich aufgrund der kommentarlos aneinandergereihten, überreichen Fülle von Bildern nur schwer von der Magie des Tanzes überwältigen lassen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/la-danse