Last Night (2010)

Zwischen Liebe und Verrat

Eine Filmkritik von Tomasz Kurianowicz

Was für ein Kammerspiel! Last Night ist ein Beweis dafür, wie wenig Mittel man dazu benötigt, um einen klugen und zugleich einnehmenden Film zu erschaffen. Es reicht, wenn man sich auf die Konstanten der menschlichen Gefühlswelt konzentriert: auf Liebe, Verrat, Eifersucht und Argwohn. All dies zusammengenommen findet sich in Last Night. Ein von Massy Tadjedin inzeniertes stilles Porträt über ein Ehepaar, das im Eifer des Beziehungsgefechts sich die Frage stellen muss, was es bedeutet, sich auf das (von manchen schon als überholt bezeichnete) Konzept der Ehe einzulassen.

Der Anfang ist etwas verwickelt: Joanna Reed (gespielt von einer bezaubernden Keira Knightley) begeleitet ihren Ehemann Michael (Sam Worthington) auf eine Party, wo auch Michaels attraktive Arbeitskollegin Laura (Eva Mendes) erscheint. Die Galle der Eifersucht steigt auf, als Joanna ihren Ehemann dabei beobachtet, wie er sich auf Turteleien mit seiner bildhübschen Kollegin einlässt. Waren es nur Blicke? Waren es nur harmlose Zwiegespäche? Oder liegt in Joannas Beobachtungen ein berechtigter Grund, sich Sorgen über das Verhalten ihres Ehemanns zu machen? Man muss nicht erst an Arthur Schnitzlers Traumnovelle oder Stanley Kubricks Eyes Wide Shut zurückdenken, um zu erahnen, dass in der Beziehung zwischen Frau und Mann die radikalsten (und darüber hinaus schmutzigsten) Wahrheiten nicht an der Oberfläche, sondern tief versteckt im Kokon der undurchdringbaren Psyche liegen.

Im New Yorker Appartement beginnt dann die Streiterei: Joanna macht ihrem Unbehagen Luft, macht ihrem Ehemann Vorwürfe, der nur "schwören", nur gewissenhaft glaubhaft machen kann, dass sich seine Frau keine Sorgen zu machen braucht. Dumm nur, dass Michael gleich am nächsten Tag mit seiner Kollegin Laura die Stadt für mehrere Tage verlassen will, um einen Geschäftstermin wahrzunehmen.

Man kann sich denken, dass das Beziehungsgefüge durch das Getrenntsein des Ehepaars gezwungenermaßen durcheinander gerät. Während Michael mit Laura im Hotel über Sinn und Unsinn von kompromissloser Treue in zwischenmenschlichen Beziehungen diskutiert (im Hotelzimmer, an der Bar, im Pool – nicht die besten Orte für sachliche Gespräche), trifft Joanna in New York überraschenderweise auf ihren Ex-Freund, oder besser gesagt: auf ihre ehemalige – und leidenschaftliche – Affäre Alex (Guillaume Canet). Was jetzt passiert, ist eigentlich keine Handlung mehr, sondern lässt sich nur noch als parallel sich vollziehender Machtkampf mit Worten beschreiben. Der Zuschauer fragt sich: Wird einer von beiden fremdgehen? Wird einer den anderen betrügen? Wird es zum großen Eklat kommen? Auf der einen Seite steht der Ehepartner, und auf der anderen Seite der Verführer. Ein Stoff, der so alt ist wie die Menschheitsgeschichte selbst.

Das Kuriosum an den abwechselnd gezeigten Treuetests ist die Tatsache, dass beide Ehepartner im Grunde eine glückliche Beziehung führen. Doch da ist eben auch der mitreißende Kitzel, der süchtig machende Rausch, das Begehren nach dem Anderen - und immer wieder die Frage, ob es Sinn hat, zusammen zu sein; ob man nichts verpasst und einen unumkehrbaren Fehler begeht, indem man versucht, die eigenen Triebe zu kontrollieren. Und genau diese tief verborgenen Sehnsüchte und Gefühle erörtert Massy Tadjedin auf phänomenale Weise. Oder anders gesagt: Hier wird die Frage nach ehrlicher Liebe neu gestellt. Es gehört wahrscheinlich zu den größten Stärken des Films, wie dieses messerscharf durchdeklinierte Kammerspiel zu seinem Ende kommt.

Last Night hat auf dem diesjährigen Filmfest in Toronto das Publikum überzeugt, und so darf man dankbar sein, dass dieses stille Beziehungs-Porträt in Deutschland gezeigt wird. Auch wenn man zugeben muss – und hier ertappt man sich selbst bei einem zweifelhaften Voyeurismus –, dass der Kontext, in dem das Ehepaar lebt (nämlich in Reichtum und Sorgenlosigkeit), die grundlegende Prämisse ist, in der sich Beziehungskomplexitäten auf diesem Niveau austragen lassen. Wer mit bitterer Armut konfrontiert ist, hat Besseres zu tun, als sich über die nächste prickelnde Affäre Gedanken zu machen. Trotzdem: Ein Teil unserer Welt ist dergestalt eingerichtet. Und dass Fragen nach Liebe und Verrat und nach einem umsetzbaren Lebenskonzept zu den zentralen Themen unserer spätkapitalistischen Gesellschaft gehören, wird niemand bezweifeln. Diese Themen werden wahrscheinlich nirgendwo so mitreißend verhandelt wie in diesem stillen, dramaturgisch dichten und doch atemberaubenden Film.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/last-night-2010