Bad Boy Kummer (2011)

Der gefallene Engel des Glamour-Journalismus

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ist er ein Betrüger oder einer, der die Mechanismen der Medien gnadenlos bloßgestellt hat? Ein Schwindler oder einfach nur der Erfinder der "fiktionalen Reportage", als den ihn der Verleger Jakob Augstein, Herausgeber der Zeitung Der Freitag bezeichnet? An Tom Kummer scheiden sich auch heute noch die Geister; mehr als zehn Jahre nach dem Skandal, der seine glänzende Karriere mit einem Paukenschlag beendete. Manch einer mag sich vielleicht schon gar nicht mehr daran erinnern, weil es in der Zwischenzeit andere Skandale gab, die die Welt um ein Vielfaches mehr erschütterten. Kummer, so kramt man dann mühsam in den Archiven der Erinnerung nach, war das nicht der mit den gefälschten Interviews? Genau.

Was heute angesichts schummelnder und plagiierender amtierender Bundesminister kaum mehr jemanden aufregt, war im Jahre 2000 einer der bis dahin größten Medienskandale. Über Jahre hinweg hatte Kummer zahlreiche (und stets sehr brillante) Interviews mit Stars wie Sharon Stone, Quentin Tarantino, Charles Bronson, Mike Tyson, Courtney Love und anderen Hollywood-Größen und sonstigen A-Promis in etlichen deutschen und Schweizer Tageszeitungen und Magazinen veröffentlicht, bis der Focus aufdeckte, dass keines dieser Gespräche jemals wirklich stattgefunden hatte. Es war alles frei erfunden. Im Gefolge dieses Skandals mussten die beiden damaligen Chefredakteure des SZ-Magazins Ulf Poschardt und Christian Kämmerling ihren Hut nehmen – obwohl sie sich bereits ein Jahr zuvor von Kummer getrennt hatten, als sich die Hinweise auf seine unsaubere Arbeitsweise häuften.

Als "Boderline-Journalismus" hatte Kummer selbst seine Art zu schreiben in seinem 1996 erschienenen Buch Good Morning Los Angeles bezeichnet und damit den Gratwandel zwischen Fiktion und Fakten umschrieben, der seine Arbeit im Nachhinein treffend beschreibt. Er sei davon ausgegangen, so Kummer rückblickend, dass die zuständigen Chefredakteure genau gewusst hätten, worauf sie sich bei seinen Interviews einlassen. Die wenigen, die bereit sind, über den ehemaligen Weggefährten Tom Kummer vor der Kamera zu sprechen, sehen das naturgemäß anders: "Die Kummer-Interviews, die fand ja nicht nur ich gut, die fanden alle gut. Die fanden alle nicht nur gut, sondern sensationell. Und auch in der Stern-Konferenz, auch beim Stern waren diese Interviews Thema. Wieso haben die so gute Interviews mit Stars und wir beim Stern nicht so gute?", so erinnert sich Andreas Lebert, damals beim SZ-Magazin und beim Stern an den Shooting Star des Interviews. Offensichtlich hatte Kummer, mit seiner Art zu schreiben, einen Nerv getroffen, hatte sich profiliert als einer, der selbst Mike Tyson tiefsinnige Betrachtungen über das Leben und das philosohische Wesen des Kampfes entlockte, bei denen man beim Lesen vor Ehrfurcht erstarrte. Manch einer wie etwa Markus Peichl ahnte aber sehr wohl, dass hier so manches nicht stimmen konnte. Und zumindest eine Stimme gibt es, die Kummers Version der Wahrheit stützt – sie kommt von Ulrich Brenner, der früher einmal stellvertretender Chefredakteur des SZ-Magazins war: "Ich bin überzeugt, dass die wussten: das sind erfundene Geschichten. Aber die lesen sich klasse, die bringen dem SZ-Magazin in gewissen Kreisen Renommé, und deswegen machen wir das."

Auch der Filmemacher selbst, Miklós Gimes, ist einer, der seine ganz eigenen Erfahrungen gemacht hat mit Tom Kummer. Als stellvertretender Chefredakteur des Magazins des Schweizer Tages-Anzeigers war er selbst einst den dreisten Fälschungen seines Landsmannes Kummer aufgesessen. Dennoch ist sein Film Bad Boy Kummer keine Abrechnung mit dem gefallenen Engel des Interviews geworden, sondern ein Film, bei dem man viel spürt vom Charisma Kummers, von seinen unglaublichen Fähigkeiten und vom Getriebensein in einer atemlosen Zeit und einer atemlosen Stadt wie Los Angeles, in der das Wahre und die Inszenierung schon immer etwas näher beieinander lagen als in anderen Metropolen der Welt.

Ob Kummer nun ein gerissener Betrüger ist oder mit seinem Wirken das Wesen der Medien zugleich bloßgestellt und in prophetischer Weise an die Wand gemalt hat als Menetekel einer generellen Glaubwürdigkeitskrise des Journalismus – das weiß man auch nach diesem Film nicht genau. Die Vermutung liegt allerdings nahe, dass die "Wahrheit" gerade in diesem Fall ein viel zu komplexes Konglomerat aus verschiedenen Motivationen und Faktoren ist, um diese Frage nach der einen, alles erklärenden Begründung von Kummers Verhalten und der "Blindheit" seiner Auftraggeber und Redakteure abschließend und befriedigend zu erhellen. Dieses diffuse Gefühl des Unbehagens am Ende des Films, der vieles seinem Zuschauer überlässt, der kein Urteil fällt und der die Faszination für Kummer niemals negiert – es könnte symptomatisch sein für unsere Einstellung zu Medien und Medienmachern: In (post)modernen Zeiten wie diesen können wir niemals genau sagen, was wir glauben können, sollen, dürfen. Es ist durchaus Misstrauen angebracht, ob das, was uns als Wahrheit verkauft wird, nicht einfach ein geschicktes Erfüllen und/oder Manipulieren unserer Wünsche, Träume und Fantasien ist. Und genau deshalb ist es so verdammt schwer, sich der Faszination, die davon ausgeht, zu entziehen.

Am Ende ist nichts mehr gewiss. Noch nicht einmal, ob Kummer sich selbst nicht am meisten geschadet hat. Weil er über ein unglaubliches Talent im Umgang mit Worten verfügt und einfach seinen Weg noch nicht gefunden hat, diesem Talent iadäquater Weise zu folgen. Heute lebt er immer noch in Los Angeles, verdient seine Brötchen als Lehrer für "Paddle-Tennis" und strahlt weiterhin dieses schwer zu beschreibende Charisma aus, das seinen Erfolg trotz deutlicher Warnzeichen zumindest nachvollziehbar macht. Ein wirkliches Unrechtsbewusstsein im Bezug auf seine Fake-Interviews ist nicht auszumachen. Vielleicht ist das aber auch für ihn der einzige Weg, um mit dem kometenhaften Aufstieg und dem tiefen Fall überhaupt fertig zu werden.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/bad-boy-kummer-2011