Satte Farben vor Schwarz

Eines langen Tages Reise in die Nacht

Eine Filmkritik von Lida Bach

Erwachen. Gemeinsam öffnen Anita (Senta Berger) und Fred (Bruno Ganz) die Augen, wie unzählige Male in den vergangenen fünfzig Jahre. An jenem Morgen spürt Anita eine Veränderung in ihrem Ehemann. Als sie Fred später in der Stadt trifft, bemerkt er Anita nicht. Statt ins Büro geht er in eine andere Wohnung, die er heimlich gekauft hat. Unmöbliert, abweisend, kalt – der erste Ort in den letzten fünfzig Jahren, den Fred nicht mit seiner Frau teilen will. Entsetzt läuft Anita davon, nachdem Fred ihr dies sagt. Nicht vor ihm, sondern einer unausgesprochenen Wahrheit.
Doch Sophie Heldmanns eindringliches Drama Satte Farben vor Schwarz handelt nicht von Flucht vor der Realität, sondern dem kompromisslosen Umgang mit ihr. Seit Jahrzehnten sind Anita und Fred glücklich zusammen. Ihr Sohn Patrick (Barnaby Metschurat) wird in wenigen Tagen zur Hochzeit seiner Schwester Karoline (Carina Wiese) anreisen. Enkelin Yvonne wird bald ihr Abitur machen. Ein luxuriöses Heim, Geld, ein anregendes Leben; alles besitzen Anita und Fred, außer was sie sich am sehnlichsten wünschen: Zeit. Ohne dies wird der Wohlstand, die Freude an ihrer Familie und die Lust am gemeinsamen Leben zum grausamen Hohn. Die Leere der Eigentumswohnung Freds bezeichnet die Leere, welche das Paar erwartet: Fred in Behandlungsräumen, Siechtum und physischer Verfall, Anita in einem Leben ohne Zweisamkeit, alt und verhärmt, weil es die Liebe war, die sie jung gehalten hat.

"Wir haben immer nie über das Ende gesprochen. Immer nur über das, was davor kommt", sagt Fred zu Anita. Regisseurin und Drehbuchautorin Heldmann hingegen spricht in ihrem herben und dennoch zärtlichen Kinodebüt offen über die Tabuthemen Tod und Freitod. Der gemeinsame Schritt in die Finsternis ist in ihrem zurückgenommenen Figurenspiel nicht Folge eines unglücklichen, sondern eines erfüllten Lebens. Satte Farben vor Schwarz ließen es erstrahlen. Nun, da nichts mehr kommt, ist es Zeit zu gehen. Anita und Fred graut es vor dem Warten auf einen kriechenden Tod, sie weigern sich, dieses Warten zu akzeptieren. Mit großer Beherrschung zeichnen Bruno Ganz und Senta Berger das intime Doppelporträt eines reifen Paares. Aus ihrem schauspielerischen Duell gehen beide als Sieger hervor. Die intensivsten Emotionen Trauer, Liebe und Schmerz klingen nur subtil an, doch räsonieren dadurch umso nachhaltiger.

Fred unterdrückt seine emotionale Aufruhr, will schließlich sein Leiden und mit ihm sich selbst in das Exil der Zweitwohnung verbannen. Etwas Kantiges, beinah Linkisches schleicht sich mit dem Wissen um die Endlichkeit des eigenen Seins in den Habitus des souveränen Geschäftsmanns. Ausgerechnet die geliebten Menschen, vor denen er seine Verunsicherung am meisten verbergen will, fühlen es unbewusst. Als Fred keinen Schlaf findet, setzt er sich nachts zu seinen Kindern und Anita. Einen Augenblick später sitzt er im Zimmer allein. Nur die Enkelin Yvonne, die von seiner Erkrankung nichts weiß, bleibt mit ungutem Gefühl zurück. Anita hingegen externalisiert ihren Konflikt. Sie spricht als erste das Thema an. Prostatakrebs sei heute keine so schlimme Diagnose mehr, sagt sie und weiß, dass sie sich belügt.

Als sie eines Abends allein im Haus ist und ihren Aufruhr niemandem mitteilen kann, tobt ein Unwetter über dem Anwesen. Der innere Sturm scheint nach außen gedrungen zu sein und manifestiert sich durch ein heftiges Unwetter. Aus verzweifeltem Trotz zieht sie nach der Gewitternacht in einen Seniorenstift. Die Bevormundung und zwischenmenschliche Kälte, welche sie hier gegenüber einer Mitbewohnerin - bravurös: Traute Hoess - mitansieht, besiegelt ihren Entschluss zum Freitod. Die Haltung des sozialen und familiären Umfeldes lässt Heldmann bewusst im Dunkeln. Satte Farben vor Schwarz urteilt nicht, zeigt weder Betroffenheitsklischees, noch diktiert er Verständnis. Das Kammerspiel zweier Seelen endet nicht in Stille im Moment des letzten Einschlafens, sondern beginnt mit ihr. Immer eindringlicher wird die schwerelose Musik, bis sie in einer friedlichen Nacht mündet, die so erfüllt von Liebe scheint, wie das Leben davor.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/satte-farben-vor-schwarz