The Way Back (2010)

So weit die Füße tragen

Eine Filmkritik von Lida Bach

Laufen. Das ist alles, was der sanftmütige Pole Janusz (Jim Sturgess), der Straßengangster Valka (Colin Farrell), der überlegte Amerikaner, der sich nur "Mr. Smith" (Ed Harris) nennt und ihre vier Gefährten tun müssen. Der Gulag liegt hinter ihnen, vor ihnen die Freiheit. Dank der Nacht, einem Schneesturm, einer Stelle im Zaun und vielleicht auch Glück. Doch an so etwas wie Glück wollen die Ausbrecher kaum glauben. Dem sowjetischen Lager sind sie entkommen, Gefangene aber bleiben sie; von der Kälte und dem Schnee Sibiriens, von Hunger, Erschöpfung und Orientierungslosigkeit, vogelfrei für menschliche und tierische Jäger. Über 4000 Kilometer liegen zwischen ihnen und ihrem Ziel. Laufen. Das ist alles, was sie tun können.

Nur wenn die sieben grundverschiedenen Protagonisten von The Way Back zusammenhalten, haben sie eine Chance. Wie verschwindend gering diese ist zeigt Peter Weir an einem Charakter nach dem anderen. Der erste Todesfall ist ein Sieg. Weil ein Tod in Freiheit besser ist als ein Leben in Haft. Nicht einmal die Hälfte der Gruppe übersteht die lebensfeindlichen Bedingungen der Reise, verrät das von Slawomir Rawicz’ Roman inspirierte Drama. Lange galt dessen Erfolgsbuch als Tatsachenbericht. Die Zweifel an der Authentizität unterminieren den Wahrheitsanspruch der um Glaubhaftigkeit bemühten Geschichte, nicht jedoch ihren Reiz. The Way Back ist ein epischer, ein hochdramatischer, vor allem aber ein bildgewaltiger Film. Vielleicht ist dies der Grund, warum es in gewisser Weise auch ein enttäuschender Film ist. Weir fesselt das Publikum durch beeindruckende Kameraaufnahmen, weniger anhand von Handlung oder Charakteren. Ihre Geschichte steht im Schatten der atemberaubenden Szenerie. Nicht nur die Gemeinschaft, auch deren dramaturgische Entwicklung muss sich der Landschaft unterordnen.

Je gewaltiger die Umgebung, desto nichtiger erscheinen die Figuren. Auf dem mächtigen Felsmassiv des Himalaya schrumpfen sie zu ameisengroßen Punkten, der sibirische Eiswind macht sie zu Schemen hinter einem Schleier weißer Flocken. Fast symbolisch wirken die Szenen, in denen sich die zurückgestellte Rolle der Figuren vermittelt. "Die Natur ist euer Wärter und sie ist gnadenlos", beschreibt ein Lagerwächter die übermenschliche Herausforderung, der sich die Gefangenen und die Handlung stellen müssen. Im Rahmen der Geschichte gelingt den Charakteren das schier Unmögliche, dramaturgisch jedoch können sie nicht gewinnen.

Ihre Wandlung ist hauptsächlich physischer Natur. Weir versteckt nicht die körperlichen Spuren, welche die Entbehrungen hinterlassen. Die psychischen Narben indes zeigt er nur selten. Auf die einem Wolfsrudel abgerungene Beute stürzen sie sich wie ausgehungerte Tiere, Kannibalismus wird zu einer greifbaren Alternative zum Hungertod. Die seelische Verrohung der Lagergefangenen, die unter unmenschlichen Bedingungen kaum vermeidbar ist, wird relativiert durch Janusz´ Sanftmut und die freundschaftlichen Bindungen der Figuren untereinander. Die Beständigkeit ihrer humanen Gesinnung zeigt Weir am deutlichsten und am wenigsten glaubhaft, als die Männer auf Irena (Soirse Ronan) stoßen. Dass sie die ihrerseits traumatisierte junge Frau beschützen, ist auch ein psychologisches Aufbäumen gegen die eigene Brutalisierung durch das System. Indem sie selbst in der Wildnis einen sozialen Ethos aufrechterhalten, scheint den Männern die Rückkehr in die Gesellschaft wahrscheinlicher.

Die verschiedenen Sequenzen zeigen beispielhaft die essentielle Schwäche des Dramas: Die Geschichte bietet ein riesiges Potential an Momenten, die visuell ebenso eindringlich sind wie emotional, und Weir besitzt das Geschick, sie zu inszenieren – nur nutzt er es zu selten. Mehr solcher beklemmender Augenblicke und The Way Back würde das Gefängnis seiner Szenerie sprengen und zu einer bewegenden Charakterstudie in der Tradition von Papillion und Die große Illusion.

So gehört der cineastische Triumph vor allem Kulisse, Maske und den Akteuren, die ihren mageren Rollen trotzen wie die fiktiven Charaktere der Hitze und dem Schnee. Dass mit den Figuren mitunter die Spannung auf der Strecke bleibt, macht die über zweistündige Romanadaption auch für das Publikum zu einer zehrenden Reise. Doch der cineastische Gewinn ist die Strapazen wert.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-way-back-2010