The Sound After The Storm

Die Hoffnung stirbt zuletzt, der Jazz nie...

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Musik ist so etwas wie das Lebenselixir von New Orleans. Die Stadt am Mississippi-Delta gilt als Wiege des Jazz, von hier gingen wichtige Impulse für den Blues, den Rhythm ’n’ Blues, den Rock ’n’ Roll aus, von hier kamen immer wieder weltberühmte Musiker. Die Geschichte der modernen Musik ist ohne New Orleans schlichtweg nicht denkbar, nicht vorstellbar. Das muss man verstehen, um überhaupt nur annähernd zu begreifen, welche Auswirkungen der Wirbelsturm Katrina auf die Stadt und deren Selbstverständnis hatte. Denn am 29. August 2005 wurden nicht nur die Stadt überschwemmt und zahlreiche Häuser durch den Hurrikan zerstört, mit den Wassermassen versanken auch viele Erinnerungsstücke an die musikalische Tradition von New Orleans, wurden Musiker obdachlos und über Jahrhunderte gewachsene kulturelle Infrastrukturen zerstört. Der Dokumentarfilm The Sound After The Storm schildert den zähen Kampf um die Rückeroberung des kulturellen und musikalischen Gedächtnisses der Stadt, der auch Jahre nach der Naturkatastrophe verbissen geführt wird.
Einer der Menschen, denen Sven O. Hill, Patrik Soergel und Ryan Fenson-Hood in ihrem Film folgen, ist die Jazzsängerin und Aktivistin Lilian Boutté, die 1986 als zweite Persönlichkeit nach Louis Armstrong zur "Jazz-Botschafterin von New Orleans" ernannt wurde – ein Ehrenamt, dass die charismatische und agile 61-jährige Sängerin, die schon mit allen namhaften Jazzmusikern zusammengearbeitet hat, sehr ernst nimmt. Lilian Boutté lebt zwar seit vielen Jahren in Deutschland, doch ihre Verbindungen zu der verwüsteten Heimat New Orleans sind vielfältig und eng. Hier im Mississippi-Delta sind ihre musikalischen Wurzeln, hier lebt ihre Familie, mit denen sie auch aus der Ferne regelmäßigen telefonischen Kontakt pflegt.

Wie groß und sichtbar auch heute noch die Zerstörungen sind und was das für das Leben in der Stadt bedeutet, erfährt man auf eindrucksvolle Weise, wenn man mit Armand "Sheik" Richardson durch die Stadt fährt. Beinahe resigniert zeigt der passionierte Fotograf auf die Häuser am Straßenrand und zählt auf, welche von ihnen leer stehen – es sind ziemlich viele. Immer wieder fühlt man sich bei den Bildern an eine Stadt erinnert, die einen Krieg überstanden hat und nun langsam wieder zu neuem Leben erwacht – was wohl die Wahrnehmung vieler Menschen aus New Orleans haargenau trifft. Nach dem Sturm hat Richardson die "Arabi Wrecking Crewe" ins Leben gerufen, die Musiker unterstützt, die durch Katrina alles verloren haben. Seine Bilder legen Zeugnis ab vom Ausmaß der Zerstörung und sind zugleich Erinnerungen an die besseren Zeiten vor dem Sturm.

Davon profitiert auch der Klarinettist und Universitätsdozent Dr. Michael White, dem Richardson in einer Szene eine auf Leinwand übertragene Fotografie überreicht, die die Finger des Musikers während des Spielens zeigt. Viel schlimmer als der Verlust der Fotografie, die immerhin ersetzt werden konnte, wiegen die zahlreichen Sammlerstücke des New Orleans Jazz (darunter auch das originale Notenmaterial von Jelly Roll Morton), die durch Katrina zerstört wurden: "Ich verlor bestimmt 4.000 Bücher, mehr als 5.000 CDs, einige hundert Video- Aufnahmen- und Recherchematerial: Interviews mit älteren Musikern. Was sie mir sagten, stand nicht in Büchern. Ich lernte viel, von dem was sie einst lernten. Das geht zurück bis nach Afrika. Daher ist es jetzt meine Aufgabe, es weiterzugeben."

Was die drei Protagonisten eint, ist nicht nur die Verbundenheit in ihrem Tun, sondern auch die Geistesverwandtschaft, die vor allem auf die Musik als verbindendes Element – eben als Lebenselixir – der Stadt fußt. Was sie besonders freuen dürfte ist die Tatsache, dass das musikalische Leben der Stadt auch dank ihrer tatkräftigen Unterstützung langsam wieder zum Leben erwacht. Mit der "Next Generation Brass Band" steht nun eine neue Generation in den Startlöchern, die den traditionellen New Orleans Jazz mit R’n’B- und HipHop-Elementen gründlich aktualisiert. Diese junge Formation ist das vielleicht sichtbarste Zeichen dafür, dass der Kampf um das musikalische Erbe der Stadt zwar noch keineswegs gewonnen ist, dass er aber schon erste Früchte trägt. Wie gesagt: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Der Jazz nie.

The Sound After The Storm wurden 2009 beim Zürich Filmfestival mit dem Preis als "Bester Dokumentarfilm" ausgezeichnet.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-sound-after-the-storm