Russland - Im Reich der Tiger, Bären und Vulkane

Ein Fest für die Augen

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Gibt es trotz Google Earth noch Teile der Erde, die weitgehend unbekannt sind? Ja, es gibt sie. Russland zum Beispiel, ein Riesenreich, mit dem man vielleicht folkloristische Klischees verbindet. Aber kaum sinnlich-konkrete Bilder. Das wird sich ändern. In ihrer Tier- und Landschaftsdokumentation über das größte Land der Erde bieten die Filmemacher Jörn Röver und Henry M. Mix spektakuläre Einblicke in eine weitgehend unbekannte Natur und Tierwelt – in der Opulenz der Bilder durchaus vergleichbar dem Kinohit Unsere Erde.
Es gibt in diesen 91 Minuten kaum eine Einstellung oder Kamerafahrt, die nicht ein visuelles Aha-Erlebnis auslösen würde. So beeindruckend sind die Flüge über das wilde Land, so nahe kommt die Kamera den scheuesten Tieren, so künstlerisch komponiert erscheint selbst der grimmigste Schneesturm. Dieses Fest für die Augen ist schließlich das Ergebnis einer ungeheuren Materialfülle, die Regisseur Jörn Röver und Produzent Henry M. Mix klug verdichtet haben. Sie setzen vor allem auf ein emotionales Erlebnis, auf großes Kino für die ganze Familie.

Russland – im Reich der Tiger, Bären und Vulkane nimmt den Zuschauer mit auf eine Reise, die ganz im (Nord)Osten des Riesenreichs beginnt, dann zurückspringt in den (Süd)Westen und sich langsam wieder nach Osten vortastet, 9.000 Kilometer durch faszinierende Bergwelten, Wüsten und Unterwasserlandschaften. Im Fokus stehen dabei diejenigen Tiere, die man sonst selten zu sehen bekommt. Den majestätischen Amur-Tiger etwa, von dem es nur noch 500 Exemplare gibt. Oder die langhalsige Weichschildkröte mit ihrem biegsamen Panzer. Oder die scheuen Desmane–Maulwürfe, die im Wasser leben und mit ihren rüsselartigen Schnauzen den Boden von Flüssen und Teichen durchwühlen. Daneben beeindrucken die Kampf- und Jagdszenen von öfter zu sehenden Tieren wie Braunbären, Elche, Wölfe, Adler oder Eisbären.

Die opernhaft in Szene gesetzte und mit pathetischer Chormusik untermalte Dokumentation erzählt jene vermenschlichten Tier-"Geschichten", von denen man nie genug kriegt: verspielte Jungtiere mit ihren Müttern, Duelle zwischen Alpha-Männchen, der ewige Wettlauf zwischen Jäger und Gejagtem. Der geht überraschend oft und vielleicht nicht ganz realitätsgetreu zugunsten der Opfer aus, was dem Schauspieler Siegfried Rauch (Das Traumschiff) als Erzähler die Gelegenheit zu einem weiteren lakonischen Kommentar gibt und den Film kindgerecht bleiben lässt.

Einer der Höhepunkte der an Attraktionen reichen Reise ist die Halbinsel Kamtschatka ganz im Nordosten des Landes. Hier gibt es zahlreiche Vulkane, die noch aktiv sind und das schneebedeckte Land in eine ganz eigene, völlig unberührte Mischung aus Feuer und Eis verwandeln. Überhaupt zählt das Kombinieren der Gegensätze, die Freude an der Vielfalt zu den Stärken des Films. Schließlich ist Russland allein schon aufgrund seiner Größe kein homogenes Gebilde, sondern ein Land, das mehr zu bieten hat als die unendliche Tundra und den sibirischen Winter. Nur hatte man es bislang kaum entdecken können, weil viele Landstriche als militärisches Sperrgebiet für ausländische Filmemacher tabu waren.

Trotz der unterschiedlichen Jahreszeiten spielt der Film naturgemäß vor allem im Winter. Deshalb ist es durchaus passend, wenn er im Januar startet. Am besten, man genießt ihn an einem dieser schmuddeligen Grautage, an dem kein Schnee fallen will, obwohl er laut Kalender angesagt wäre. Der russische Winter ist nämlich nicht nur fürchterlich kalt. Sondern auch gewaltig, erhaben und faszinierend schön.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/russland-im-reich-der-tiger-baeren-und-vulkane