Transnationalmannschaft

Fußball als Spiegelbild einer ganz realen multiethnischen Gesellschaft

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Sommer 2010: Während die deutsche Fußballnationalmannschaft bei der WM in Südafrika durch ihr frisches, freches und angriffslustiges Spiel begeistert, wird sie überall in Deutschland von den Menschen frenetisch gefeiert und umjubelt. Es ist nicht nur der neue "Jugendstil", der eine Euphoriewelle auslöst, sondern auch die spezielle Zusammensetzung dieser Mannschaft. 11 Spieler des Kaders von Joachim Löw könnten auch für andere Nationen spielen, weil ihre Herkunft es zulässt. Dennoch treten sie für Deutschland gegen den Ball, also für jenes Land, in dem sie als Migranten aufgewachsen sind und mit dem sie sich voll und ganz identifizieren. Kein Wunder also, dass diese Transnationalmannschaft nicht nur von "Deutschen", sondern auch von in Deutschland lebenden Türken, Afghanen, Afrikanern und Osteuropäern heiß und innig geliebt wird.
Der Regisseur Philipp Kohl hat den Weg der DFB-Kicker und die Reaktionen, die das furiose Turnier zuhause auslösten, mit der Kamera begleitet – und zwar im Mannheimer Stadtteil Jungbusch und in der so genannten "Filsbach" - beides sind Gegenden mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil an Bewohnern unterschiedlichster Herkunft. Vom ersten Spiel der Vorrunde an bis zum Turnierende durchstreifte das Filmteam die beiden aneinander grenzenden Stadtteile und traf dabei auf Menschen, die wie Özil, Khedira, Klose, Podolski und all die anderen Spieler mit Migrationshintergrund längst in der Mitte der deutschen Gesellschaft angekommen sind. Da ist beispielsweise die Polizistin Suzanna, deren Eltern aus dem früheren Jugoslawien nach Deutschland kamen. Oder Bashir, der stets gut gelaunte Lebensmittelhändler aus Afghanistan. Oder Nima, der Student mit teilweise iranischen Wurzeln. Sieben Protagonisten seien es, so ist im Pressematerial zu dem Film zu lesen, in Wirklichkeit aber ist die Anzahl der Interviewten, die hier zu Wort kommen, viel größer. In Philipp Kohls Film begegnet man vielen Menschen und jeder von ihnen ist ein Musterbeispiel dafür, dass die gelungene Integration von Migranten nicht die Ausnahme, sondern viel eher die Regel in Deutschland ist. Man muss nur dazu bereit sein, es zu sehen und anzuerkennen.

Bisweilen wirkt der Film, der anhand der chronologischen Abfolge der Spiele der deutschen Mannschaft strukturiert ist, ein wenig vollgestopft – immer wieder begegnen wir neuen Personen, die für einen kurzen Moment zu Wort kommen, um dann später nicht mehr wieder aufzutauchen. Manchmal sind auch diejenigen, die da gerade sprechen, überhaupt nicht im Bild, so dass man an einigen Stellen nicht erfährt, wer da gerade etwas gesagt hat. Wirklich störend sind solche kleinen Schnitzer aber nicht – im Gegenteil. Sie verstärken den Eindruck eines bemerkenswert lässigen Spaziergangs, bei dem der Fußball nur der Auslöser dafür ist, um über die längst manifesten Realitäten einer multikulturellen, multiethnischen Gesellschaft zu sprechen und auf erhellenden und charmante Weise aufzuzeigen, dass diese – allen Thilo Sarrazins und Angela Merkels ("Die multikulturelle Gesellschaft ist gescheitert") zum Trotz - längst existiert. Und mehr noch: In Vierteln wie dem Mannheimer Jungbusch und der Filsbach ist diese "Utopie" bereits (be)greifbare Realität. Insofern sind die bunt zusammengewürfelte Nationalmannschaft und ihre enorme Leistung bei der WM nicht nur ein Vorbild für die Deutschen, sondern auch ein Abbild der Gesellschaft.

Philipp Kohls sympathischer Film ist eine Liebeserklärung an die Menschen, denen er begegnet. Und eine Ode an zwei Stadtviertel in Mannheim, in der der Traum eines multikulturell geprägten Zusammenlebens auf ganz selbstverständliche Weise wahr geworden ist. Man darf und muss vermuten, dass man dies auch in unzähligen anderen deutschen Städten beobachten kann. Wer Augen hat zu sehen...

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/transnationalmannschaft