Perfect Sense (2011)

Wo die Sinne schwinden, wächst die Liebe

Das klassische Konstruktionsprinzip apokalyptischer Filme besteht in der völligen Zerstörung der menschlichen Außenwelt (oder in der unmittelbaren Gefahr, dass dies geschieht) durch Naturkatastrophen, Krieg, Außerirdische oder, in den meist blutigeren Varianten des Genres, durch allumfassende Seuchen, die gerne auch mal Tote als Zombies wieder auferstehen lassen. Fast immer geht es dann darum, wie sich die mitzerstörte menschliche (in den Filmen fast immer westlich-industrielle) Gesellschaft um die Katastrophe herum neu organisiert: Welche modernen oder archaischen Formen der Selbstorganisation sie findet, wie sie umgeht mit dem Verlust all der modernen Bequemlichkeiten.

Perfect Sense, der neue Film von David Mackenzie, zeichnet da eine aufregend andere Form des Weltuntergangs nach, die sich im Inneren der Menschen abspielt und von dort aus ihre Spuren in der Außenwelt zeigt. Den Menschen gehen nach und nach ihre Sinneswahrnehmungen verloren; es beginnt stets mit einer emotionalen Krise – Traurigkeit über die eigenen Fehler, Wut über die Unzulänglichkeiten der anderen – und endet dann mit dem Verlust eines Sinns: Zuerst verschwindet der Geruchssinn, dann die Geschmackswahrnehmung...

Michael (Ewan McGregor) und Susan (Eva Green) betrifft das beide auf ihre Weise ganz direkt: Sie ist Epidemiologin und sieht die allerersten Fälle dieser neuen Krankheit, die in Glasgow auftreten. Ihre Wohnung liegt gleich gegenüber Michaels Arbeitsstelle, einem hochklassigen Restaurant, in dem er als Koch arbeitet. Er hat kein besonders großes Interesse an längerfristigen Beziehungen und hangelt sich von einem One-Night-Stand zum nächsten.

Im Hof trifft er eines Abends zufällig Susan. Das Restaurant ist leer, weil die Leute aus Angst vor der Krankheit nicht mehr essen gehen, und er lädt sie zum Essen ein, es ist ja genug übrig. Genau an diesem Abend bricht bei ihr der erste Schub aus – unendliche Trauer in der Erinnerung an alle, die man geliebt hat, alle Fehler, die man gemacht hat. Er bringt sie nach Hause und erkrankt dann selbst, und am nächsten Morgen haben sie beide den Geruchssinn verloren – vielleicht war das intimer als alle Beziehungen, die sie in den letzten Monaten hatten.

Perfect Sense ist so sehr Liebesgeschichte wie Weltuntergangsszenario – und in der Tat ist beides hier untrennbar miteinander verschmolzen. Denn Mackenzie und Drehbuchautor Kim Fupz Aakeson geht es darum – und das unterscheidet diesen Film wesentlich von den gängigen Weltuntergangsszenarien –, wie die Menschen im Angesicht des Verfalls ihrer Sinne, in dem Moment, in dem die ihnen bekannte Welt völlig aus den Fugen gerät, dennoch immer nach dem Erhalt ihrer Ordnung streben und vor allem: sich einander zuwenden.

Das ist natürlich melodramatischer Stoff, wie geschaffen für peinlich gefühlsduselige Momente, aber Mackenzie umschifft diese Klippen gekonnt. Seine Hauptdarsteller sind dafür wesentlich: Green und McGregor spielen sehr zurückgenommen und lassen ihre Figuren nie ins völlig Emotionale umkippen – sie bleiben so spröde und verletzlich, wie man sie zu Beginn erlebt, und gerade daraus speist sich konsequent und glaubhaft die emotionale Bandbreite, die sie später zeigen.

Am Beispiel von Michael und Susan führt Perfect Sense auch den fast spielerischen Umgang der Menschen mit dem Verlust bestimmter Sinneswahrnehmungen vor: Nachdem Geruch und Geschmack verschwunden sind, sieht man die beiden gemeinsam in der Badewanne sitzen und zuerst Rasierschaum essen, schließlich an Seife knabbern. Das Taktile wird nun zum wesentlichen Element des Essens, die Art und Weise, wie sich Essen anfühlt, und auch Michaels Restaurant richtet sich danach aus, gestaltet Speisen, die schön aussehen und sich im Mund interessant anfühlen: warm, kalt, knusprig, weich, trocken, feucht.

Das sind Versuche, eine bestimmte Form von Zivilisation und Menschlichkeit zu bewahren. In den Attacken, die die Krankheitsschübe begleiten, kommt aber immer auch wieder das Animalische im Menschen hoch – etwa wenn plötzlicher Heißhunger einsetzt und mit besinnungsloser Gier gegessen wird, wessen man gerade habhaft werden kann: Olivenöl im Kanister, ein Blumenstrauß und Lippenstift. Perfect Sense lässt seine Figuren und seine Welt langsam und ruhig oszillieren zwischen diesen Momenten des Kontrollverlustes und den Versuchen, Würde und (Selbst)Kontrolle wiederherzustellen.

Den Dreh ins Allgemeingültige schafft sich der Film über episodisch immer wieder eingestreute Bilder aus unterschiedlichen Ländern, die ähnliche Reaktionen auf die Seuche zeigen – zunächst Verzweiflung, Zerstörung, Aggressionen, dann die Suche nach Ausgleich und Wiederherstellung der vertrauten Lebensumstände. Zwischen diesen beiden Polen hält der Film seine Balance; und es ist ein seltenes Glück, einen Endzeitfilm zu sehen, der das Hohelied von Liebe und Menschlichkeit singt.

(Rochus Wolff)

Verlosung

Zum Kinostart von Perfect Sense verlosen wir auf unserer Facebook-Seite 8x2 Freikarten. In den Lostopf kommen alle, die bis Freitag, den 2. Dezember 2011, 12.00 Uhr MEZ an der Verlosung teilgenommen haben. Zum Teilnehmen hier klicken: www.facebook.com/kinozeit und dann links auf "Perfect Sense-Verlosung" klicken.

Im Rahmen der Verlosung erheben wir die folgenden Benutzerdaten: Name des Teilnehmers und E-Mail-Adresse. Diese Daten benötigen wir lediglich, um die glücklichen Gewinner zu kontaktieren. Teilnehmerdaten werden in keinem Fall an Dritte weitergegeben.

Nicht mitmachen dürfen Mitarbeiter von kino-zeit.de und Senator Filmverleih. Bei mehr als acht Teilnehmern entscheidet das Los. Und natürlich ist der Rechtsweg ausgeschlossen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/perfect-sense-2011