Stadt Land Fluss (2011)

"Wollen kommt nicht von Wolle"

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Sechzig Kilometer entfernt von Berlin, mitten im Baruther Urstromtal liegt Jänickendorf und dort befindet sich auch die Agrargenossenschaft EG "Der Märker". Hier macht Marko (Lukas Steltner) eine Ausbildung zum Landwirt. Marko ist ein ruhiger, zurückhaltender Typ, der schon seitdem er fünfzehn Jahre alt ist, allein lebt. Seine Mutter ist Alkoholikerin. Jacob (Kai-Michael Müller) hat sein Abi gemacht und gerade seine Lehre zum Bankkaufmann geschmissen. Der Job war ihm zu dröge. Jetzt versucht er sich in der Aggrargenossenschaft als Praktikant. Irgendwann mitten zwischen Kuhdung und Erntemaschinen kommen sich die beiden langsam näher. Bei einem gemeinsamen Ausflug nach Berlin knallt es dann so richtig, doch keiner der beiden hat sich Gedanken gemacht, wie man diese Liebe in Brandenburg ausleben möchte.

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In Stadt Land Fluss wird eine Coming-Out Geschichte auf jeden Fall auf sehr erfrischende Art erzählt. Nein, das liegt nicht daran, dass die Story nach einem "Brokeback Brandenburg" klingt, sondern an Regisseur Benjamin Cantus Ansatz, den Film semidokumentarisch zu gestalten. Denn bis auf die beiden Hauptdarsteller sind alle anderen Protagonisten echte Jänickendorfer, echte Landwirte, echte Auszubildende in einer echten Agrargenossenschaft und sogar ein echter Deckhengst namens Philipp ist dabei. Die Szenen sind improvisiert, man spielt sich selbst und das ist ungeheuer herzerfrischend. Wenn Ausbilderin Frau Thymian mit Jacob über die Wiese geht und ihm erklärt, dass er, wenn die Kuh auf ihn zu rennt, laut "Geh weg" schreien soll, sie aber auch nicht weiß, ob die Kuh darauf hören wird, dann ist das schon ungeheuer charmant und witzig. Doch genau hier liegt auch das Hauptproblem des Films, denn der fiktionale Strang und die dokumentarische Umgebung sind nicht im Einklang.

So rücken die Nebenprotagonisten durch ihren brandenburgischen Charme und ihre liebevolle Ehrlichkeit viel mehr ins Scheinwerferlicht als Cantu es gewollt haben kann. Während Jacob und Marko recht spröde und wortkarg übers Feld stolpern, strahlt Frau Thymian, strahlen die kodderschnauzigen Azubis in all ihrer herrlichen Menschlichkeit. Je länger man den Film sieht, desto mehr ist man interessiert am Drumherum, am Leben auf dem Land in Brandenburg, dass obwohl es gleich um die Ecke zu Berlin liegt, doch eine ganz andere Welt ist. Dagegen kommt die fiktive Handlung nicht an, zu schwach sind da die charakterlichen Entwicklungen der Hauptfiguren, als dass sie das wahre Leben übertönen könnten. Das macht Stadt Land Fluss zu einem recht ambivalenten Filmerlebnis, das sich aber trotz allem zu sehen lohnt. Sei es um einen "Brokeback Brandenburg" Film zu sehen oder um von Frau Thymian und Co. solch Weisheiten zu hören wie: "Wollen kommt nicht von Wolle".
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/stadt-land-fluss-2011