I Saw The Devil

Shakespeare in Rot

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Man muss ja gestehen: Dieser Durst nach Rache lässt sich ohne Probleme nachvollziehen. Kyung-Chul (Min-sik Choi) malträtiert sein Opfer zuerst mit einem Hammer, bevor er sie verschleppt; in seinem Versteck schließlich, das er hinter seinem Haus eingerichtet hat, entkleidet er sie und bindet sie ausgestreckt auf dem Boden fest, bevor er sie mit nicht allzu großer Eile tötet und ihr schließlich den Kopf abtrennt.
I Saw The Devil macht relativ rasch und später mit immer neuem Nachdruck deutlich, was von diesem Kyung-Chul zu halten ist: Er verkörpert tatsächlich ein absolut und bedenkenlos Böses, eine Person, die sich außerhalb aller geltenden moralischen Wertesysteme bewegt und für die Alltagsgeschehen ist, was uns unvorstellbar, grausam und verbrecherisch erscheint. Während er sich anschickt, eine Schülerin zu vergewaltigen und zu ermorden (gelingen wird es ihm diesmal nicht), schimpft er nur milde irritiert darüber, dass er nun wohl nicht mehr als Schulbusfahrer weiter arbeiten könne.

Und trotzdem ist gar nicht sicher, ob der "Teufel" im Filmtitel tatsächlich auf ihn gemünzt ist. Denn die besondere Perfidie von Regisseur Jo-woon Kim neuem Film (seinem ersten seit der eher harmlosen Zerstreuung The Good, the Bad and the Weird) liegt darin, dass er eine moralisch eindeutige Situation so lange und konsequent weiterdenkt und -dreht, bis sie voller Ambivalenz und fragwürdiger Figuren steckt – er konstruiert hier ein Rachedrama von Shakespeare’scher Konsequenz und Komplexität, von der ersten bis zur letzten Minute in tiefrot getunkt.

Kyung-Chuls Opfer aus den ersten Filmminuten ist nicht nur die Tochter eines pensionierten Polizeioffiziers, sondern auch die Verlobte des Spezialagenten Kim Soo-hyeon (Byung-hun Lee), der sich nach der Beerdigung für zwei Wochen beurlauben lässt – und diese Zeit dafür nutzt, den Mörder zu finden und ihn die Qualen spüren zu lassen, die er seinen Opfern angetan hatte. Das bedeutet natürlich, dass es in I Saw The Devil nicht darum geht, den Täter ausfindig zu machen und zu fangen – dem Publikum ist sein Gesicht von Anfang an bekannt, und Kim Soo-hyeon hat seinen Antagonisten innerhalb von einer Filmstunde ausfindig gemacht und sicher überführt.

Der Film beginnt also mit der Enttarnung erst richtig, mit dem Moment also, den gewöhnliche Serienmordthriller an ihr Ende setzen, und legt dann noch fast anderthalb enorm dichte Stunden obendrauf. Denn der Spezialagent hat kein Interesse daran, den Mörder der Polizei zu übergeben, sondern will ihn die Qualen seiner Opfer selbst spüren lassen. Und so verletzt er ihn schwer, bevor er plötzlich von ihm ablässt, ihm sogar Geld zusteckt und ihn wieder in die Welt hinausschickt.

Natürlich ist es der aus Liebe und Verzweiflung geborene Durst nach Rache, der Kim Soo-hyeon antreibt, aber es wird eben auch schnell deutlich, dass dieser Mann auch Gefallen darin findet, sein Opfer zu jagen, zu misshandeln und zu quälen, ohne dass es ihm selbst zunächst bewusst wird. Und Byung-hun Lee, den man im Westen zuletzt in The Good, the Bad and the Weird oder, großflächiger plakatiert, in G.I. Joe - Geheimakte Cobra als Bösewichte gesehen hatte, versteht das mit seiner äußerst zurückgenommenen Performance auch auf die Leinwand zu bringen.

Min-sik Choi (Freunden des asiatischen Kinos sicher schon von seiner Hauptrolle in Oldboy sowie aus Lady Vengeance ein Begriff) ist ihm ein würdiges Gegenüber. Die emotionale Kälte gegenüber anderen, die er seinem Mörder einpflanzt, wird überdeutlich spürbar; und doch kriecht, je länger der Film dauert, nicht nur mehr und mehr Menschlichkeit in seine Figur hinein, ob der grausamen und unnachgiebigen Verfolgung durch den Agenten schleicht sich daneben sogar ein wenig Mitleid mit ihm ein – das dann aber schnell durch seine nächsten Handlungen wieder verschwindet.

I Saw The Devil zieht dadurch die Zuschauer in den Kampf zwischen seinen Hauptfiguren mit hinein, und stellt sie vor die am Ende fast nicht mehr beantwortbare Frage, welcher von beiden der größere Psychopath sein mag. Denn die Konsequenz, mit der Kim Soo-hyeon seinen Racheplan verfolgt, entfernt ihn letztlich womöglich nicht viel weniger von den Regeln der "zivilisierten" Gesellschaft als seinen Gegenspieler.

Zugleich aber, und damit wird das eigentliche Dilemma in Jo-woon Kims Film deutlich, gibt es eben keine echte Alternative: Denn die Polizei, deren Aufgabe die Verfolgung des Täters eigentlich wäre, wird dieser Erwartung nie gerecht. Nicht nur kann sie die Opfer nicht schützen und den Täter nicht finden, sie kann nicht einmal die Presse daran hindern, die Überreste von Kim Soo-hyeons abzufilmen – eine groteske Szene ist das, in der sogar der abgetrennte Kopf der Leiche den Beamten entgleitet und direkt vor die Kameraobjektive rollt.

Der Film freilich nimmt deren Perspektive nicht ein; und erst viel später, als ein anderer Kopf rollt, wird er sich der Pressemeute gleich machen. Bis dahin fließt viel Blut, und wird womöglich der Teufel mit dem Beelzebub bekämpft. Nur wer von beiden welcher ist, das wird immer schwieriger auseinanderzuhalten sein.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/i-saw-the-devil