Midnight in Paris

Ein Rendezvous mit der Vergangenheit

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Gil (Owen Wilson) ist ein recht erfolgreicher Autor von Hollywood-Drehbüchern und so durchaus ein Kind seiner Zeit. Doch als er mit seiner Verlobten Inez (Rachel McAdams) und deren konservativen Eltern (Kurt Fuller und Mimi Kennedy) Paris besucht, ist das der Beginn eines fatalen Flirts mit der Hauptstadt der Liebe und deren glamouröser Vergangenheit.
Fasziniert von der Stadt und all dem, was sie für ihn bedeutet, träumt Gil davon, sein bisheriges Leben hinter sich zu lassen. Am liebsten wäre es ihm, jene goldenen und wilden Zwanziger- und Dreißigerjahre miterleben zu können, die der Metropole ihren Ruf als einzig wahre Kulturhauptstadt Europas eingebracht haben. Ein Wunsch, der sich auf merkwürdige Weise erfüllen wird. Eines Nachts, als sich Gil allein und etwas angesäuselt auf dem Weg zu Fuß nachhause befindet, begegnet ihm eine alte Limousine aus den "goldenen Jahren" von Paris und ein Mann bedeutet ihm, einzusteigen. Ohne nachzudenken, nimmt Gil die Einladung an und landet unversehens in der ersehnten Vergangenheit, in der er nicht nur F. Scott und Zelda Fitzgerald, sondern auch den Herrschaften Salvador Dalí (großartig und sehr witzig: Adrian Brody), Luis Bunuel, Man Ray, Cole Porter sowie Getrude Stein (Kathy Bates) und vor allem der überaus attraktiven Adriana (Marion Cotillard) begegnet.

Glaubt Gil am nächsten Morgen noch an einen alkoholbedingten Traum, muss er doch bald feststellen, dass sich das Ereignis beliebig wiederholen lässt, wenn er nachts am gleichen Platz wie beim ersten Mal auf sein Taxi in die Vergangenheit wartet. Vor allem aber erweist sich die Vergangenheit mit der Zeit als viel anziehender als die dröge Gegenwart, so dass Gils Reisen langsam zu einer regelrechten Flucht werden. Als dann noch ein Privatdetektiv auf ihn angesetzt wird, um das Geheimnis seiner nächtlichen Touren aufzuklären, steht dem notorischen Nostalgiker einiges an Ärger und vor allem eine Entscheidung ins Haus. Doch selbst die dunklen Wolken, die nun heraufziehen, können Gils Liebesaffäre mit der Stadt und ihrer kulturellen Vergangenheit nicht trüben, denn er weiß: Paris ist dann am schönsten, wenn es regnet...

Als Liebeserklärung an die glorreiche Vergangenheit von Paris und als Eröffnungsfilm von Cannes ist Midnight in Paris eine nahezu perfekte Wahl. Gut gelaunt, mit viel Humor, Witz und Wärme sowie einer diebischen Lust an den zahlreichen Klischees über Frankreich und dessen Hauptstadt, die manchmal dann beinahe schon ein bisschen "over the top" wirken. Der Begeisterung des Publikums bei der zweiten öffentlichen Vorführung am Eröffnungstag tat dies aber kein Abbruch: Als während des Abspanns ein Cancan erklang, wurde sogar rhythmisch mitgeklatscht - was beinahe an das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker erinnert, wenn beim Radetzkymarsch das Publikum seine Contenance für eine kurze Zeit aufgibt.

Midnight in Paris ist nicht, wie irgendwo zu lesen war, Woody Allens bester Film seit langem, sondern ein sommerlich mundendes amuse-gueule, das den Appetit auf die weiteren Filme des Wettbewerbs von Cannes anregt, aber den Hunger nach guter Kinokost nicht stillen kann. Insofern hat Woody Allens neuestes Werk seinen Zweck als Opener durchaus bravourös gemeistert und wird vermutlich auch im Kino keine schlechte Figur abgeben. Nach Woody Allens filmischen Ausflügen nach London, nach Vicky Cristina Barcelona und der jetzigen Huldigung an Paris erwarten wir als nächstes aber mindestens einen Film des New Yorker Altmeisters, der in Berlin angesiedelt ist. Ditt wär knorke!

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/midnight-in-paris