Joschka und Herr Fischer

"Das darf man nicht vergessen"

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Vom Rebellen der 68er-Generation zum beliebtesten Politiker der Bundesrepublik: In der außergewöhnlichen Biografie des früheren Außenministers Joschka Fischer spiegelt sich der erfolgreiche Weg der deutschen Demokratie. An Beispiel dieser politischen Vita unternimmt Regisseur Pepe Danquart "eine Zeitreise durch 60 Jahre Deutschland", wie der Untertitel seiner 140-minütigen Dokumentation heißt. Fischer, der sich 2006 aus der Politik verabschiedete, blickt darin kommentierend zurück auf chronologisch geordnetes Filmmaterial von den 50er Jahren bis 2005. Beginnend mit seiner Kindheit im Schwabenland, skizziert der 1948 geborene Sohn ungarisch-deutscher Aussiedler jeweils typische atmosphärische Merkmale der vergangenen Jahrzehnte. Man sieht die ersten Abgeordneten der Grünen im Bundestag 1983, wie sie sich hitzige Debatten mit den Vertretern der etablierten Parteien liefern und ihnen als symbolische Geste Pflanzen überreichen. Fischer erinnert sich, wie kämpferisch und vorurteilsbeladen es damals zuging: "Das darf man nicht vergessen."
Wie schon 2007 in Am Limit, dem Porträt der Speed-Kletterer Alexander und Thomas Huber und dritten Film seiner Sport-Trilogie, inszeniert Danquart seine Dokumentation mit der dramatischen Spannung eines Spielfilms. Neu ist hier, dass er den Porträtierten als Kommentator gemeinsam mit den Filmausschnitten, auf denen er zum Teil auch selbst erscheint, ins Bild bringt. Fischer steht in einem schmucklosen, einer Tiefgarage ähnelnden Raum mit Videoinstallationen. Diese bestehen aus 24 kurzen Archivmaterial-Filmen, die als Endlosschleifen auf Glaswände projiziert werden. Manchmal fängt die Kamera Fischer im Profil neben den laufenden Bildern ein, manchmal steht sie ihm direkt gegenüber, während die Projektionen über sein Gesicht laufen oder mehrere Glaswände mit ihren verschiedenen Filmen gleichzeitig zu sehen sind.

Das Filmsetting, welches ihn mit den Bildern konfrontiert, kommt dem Sponti in Fischers Persönlichkeit entgegen. Man erfährt an sich wenig, was er nicht an anderer Stelle bereits gesagt hätte. Was jedoch auf verblüffende Weise dem Bekannten eine frische Authentizität abgewinnt, sind seine unter dem Eindruck des Moments stehenden Gefühle. Am Beispiel seiner politischen Anfänge in der linksradikalen Frankfurter Sponti-Szene ab 1968 und der Eskalation der Gewalt bis hin zu erbitterten Straßenkämpfen mit der Polizei kann er über umstrittene Punkte in der eigenen Vergangenheit sprechen, ohne sie beschönigen oder verdammen zu müssen. "Diese ganze Buntheit des menschlichen Lebens", wie Fischer über seine spätere Zeit als Taxifahrer schwärmt, war deutlich aus anderen Komponenten gebildet als heute, die Revolte wohl notwendig, wenn sie auch Irrtümer produzierte, die Fischer erst aus der späteren Distanz erkannte.

Fischer kratzt sich am Kopf, lächelt verlegen oder spottet deftig, während er zum Beispiel erzählt, dass seine Arbeit an der Spitze des Realo-Flügels der grünen Partei mit Beginn der 80er Jahre immer wieder zur persönlichen Zerreißprobe geriet. Wurden die Bilder von der Vereidigung des hessischen Umweltministers in Turnschuhen im Jahr 1985 als Symbol für das Ankommen der Linksalternativen im politischen System gefeiert, so haderte Fischer bereits mit den Zwängen der Realpolitik. Er habe keine Ahnung von den so wichtigen Zuständigkeiten gehabt, gibt er freimütig zu. Später sieht man ihn bei Diskussionen mit den Fundamentalisten seiner Partei, wie er den Kopf in den Händen vergräbt. Heute bekennt Fischer, dass seine emotionale Bindung an die Partei nicht mehr sonderlich ausgeprägt ist.

Danquart lässt auch zehn weitere Zeitzeugen in kurzen Exkursen erzählen, Fischers politischen Weggefährten Daniel Cohn-Bendit ebenso wie eine Umweltschützerin aus der frühen Anti-Atomkraftbewegung oder Katharina Thalbach, die sich an den Fall der Mauer erinnert. Im Zusammenspiel mit Pop- und Rocksongs aus der jeweiligen Zeit bekommt dieser Rundgang durch die Geschichte der Bundesrepublik fast schon etwas Schwelgerisches, wie es sich auch beim Betrachten alter privater Urlaubsfilme einstellen kann. Die Dokumentation erscheint in ihrer subjektiven Authentizität als eine auch für künftige Generationen wichtige Quelle, um nicht zu vergessen, wie die Gesellschaft zu derjenigen wurde, die sie heute ist.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/joschka-und-herr-fischer