Hors Satan

Der Teufel möglicherweise

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Es ist stets das gleiche Ritual: Eine Hand klopft an eine Tür, die sich kurz darauf öffnet, eine andere, schmalere Hand reicht ein Butterbrot hinaus, danach schließt sich wieder die Tür. Kurz darauf erfahren wir, zu wem die beiden Hände gehören, deren Spiel wir zuvor beobachtet haben: Die eine, die klopft gehört zu einem seltsamen Mann (David Dewaele), einem Obdachlosen, wie es scheint, der in den Dünen sein Lager unter freiem Himmel aufgeschlagen hat. Die andere gehört zu einer jungen Frau (Alexandra Dematre), die auf einem nahe gelegenen Bauernhof lebt.
Gemeinsam durchstreifen die beiden immer wieder zusammen die Landschaft, scheinbar ohne Ziel, fallen unversehens auf die Knie und scheinen ins Gebet versunken. Und dann erfahren wir, dass es tatsächlich ein Teufelspakt ist, den die beiden miteinander eingegangen sind, denn er erschießt den Stiefvater, der stets in schwarz gekleideten jungen Frau, die offensichtlicht missbraucht wurde.

Wer ist dieser Mann mit dem zernarbten, verlebten Gesicht? Der Teufel, wie der Titel es andeutet? Ein Heiler, ein Exorzist? Auf jeden Fall scheint er über magische Kräfte zu verfügen, denn er vermag es, eine katatonische Frau zu heilen und einen Brand zu löschen. Andererseits ist er ein Killer, ein strafender "Gott", der einem jungen Mann, der dem Mädchen nachstellt, den Schädel einschlägt. Wenn er mit einer Zufallsbekanntschaft schläft, bekommt diese Schaum vor dem Mund und zeigt auch sonst alle Anzeichen von Besessenheit. Dennoch: was dieser Mann ist, was er will, welche Funktion er in dem ländlichen Mikrokosmos hat, das erfahren wir bis zu Ende nicht.

Gleich zweimal (1999 und 2006) konnte der Franzose Bruno Dumont bei den Filmfestspielen den Preis für den besten Film entgegennehmen (für L'Humanité und Flanders), in diesem Jahr läuft sein neuestes Werk Hors Satan außerhalb des Wettbewerbs in der Reihe "Un Certain Regard". Der spröde Film über einen Außenseiter fasziniert durch seine gewaltigen Bilder, in denen die raue Region Nordfrankreichs kargen Settings apokalyptischer Seelenlandschaften gleicht, vor deren Hintergrund sich wahre Tragödien aus Hass und Liebe, Glaube und Sinnsuche abspielen, die viel Raum für Interpretationsspielräume offenlassen.

Mit Sicherheit ist dies ein Film, der (sollte er überhaupt ins deutsche Kino kommen) allenfalls ein verschwindend geringes Publikum erreichen wird. Andererseits erweist sich Bruno Dumont einmal mehr als eigensinniger Filmemacher, der keinerlei Zugeständnisse an Erfolgsrezepte und andere Formeln macht, sondern vielmehr mit großer Bestimmtheit und Radikalität seinen Weg verfolgt. In gewisser Weise gleicht er damit Terrence Malick und ist dabei zugleich in seiner Sinnsuche wesentlich konkreter, härter und realistischer, als es der Amerikaner jemals war.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/hors-satan