Small Town Murder Songs

Mörder-Ballade

Eine Filmkritik von Lida Bach

Greyforks ändert sich nicht. Erstarrt liegt die kleine Gemeinde im ländlichen Ontario, niedergedrückt von Nebelschwaden und dem stumpfen mennonitischen Glauben. Greyforks immer gleiche Einwohner begehen die immer gleichen kleinen Sünden. Und Walter (Peter Stromare) kennt sie alle. Der Polizeiinspektor findet in seinem Glauben und der Ehe mit der tief religiösen Kellnerin Sam (Martha Plimpton) Halt. Der Mord an einer Stripperin weckt Walters eigene brutale Vergangenheit, die sein neues Leben zu überschatten beginnt. In den Fall verwickelt scheint seine einstige Freundin Rita (Jill Hennessey) und das Begehren nach ihr brennt immer noch in Walter, wie der Zorn auf ihren neuen Partner Steve (Stephen Eric McIntyre), der der Hauptverdächtige in dem Mordfall ist. Greyforks ändert sich nicht – und Walter ist nicht mehr sicher, ob er sich geändert hat.
Ed Gass-Donnelly hüllt seinen stillen Psychothriller in lyrisches Zwielicht, das Walters seelische Zerrissenheit symbolisiert. Er wandelt auf dem unsicheren Pfad zwischen Licht und Finsternis. Von dem Dunklen in seinem Inneren hat er sich abgewandt, besiegt hat er es aber nie. Und Walter weiß es. Menschen mögen sich wandeln, ihre Vergangenheit jedoch nicht. Der Nebel über der Kleinstadt scheint den Schleier nachzuahmen, in den Walter sein Vorleben gehüllt hat. Die Dunstschwaden geben der Szenerie ein anderes Gesicht, doch sie verändern das Verborgene nicht und eine geringe Klimaveränderung kann sie auflösen. Verlockend breitet sie nun vor ihm die Arme aus. Er muss nur nachgeben und die subtilen Veränderungen in seiner Miene lassen keinen Zweifel daran, wie sehr er sich danach sehnt.

Die Kamerabilder fügt Gass-Donnelly zu einem Arrangement altertümlicher Vignetten zusammen, welche die Zeitlosigkeit und Verschlossenheit der mennonitischen Gemeinde atmen. Der bleierne Dunst über der Landschaft und der Fatalismus der Einwohner scheinen einander zu bedingen. Der Glaube an Veränderung existiert nicht in den von Pferdegespannen und langsam verwitternden Häusern gesäumten Straßen, nicht für die Ortschaft und nicht für die Gemeinde. Und das Gedächtnis beider währt lang. Was Walter getan hat, das ihn von seiner Familie und Rita für immer entfremdete, bleibt vage. Regisseur Gass-Donnelly hat als einziger abgeschlossen mit der Vergangenheit, die jeder aus seinem Figurenensemble Walter verkappt oder unvermittelt zum Vorwurf macht. Der Bruch mit seinem alten Leben motiviert mehr als Reue: sie ist eine Flucht zu der einzigen Alternative, die Walter bleibt, wenn er in Greyforks weiterleben will. Dass er dennoch spürbar abseits von den übrigen Einwohnern steht, trägt er als alltägliche Last mit sich herum. Indem er einen anderen größeren Sünder aufzeigt, scheint der Polizeiinspektor auch sich selbst reetablieren zu wollen. In gemessenem Rhythmus erzählt die schwermütige Ballade von der quälenden Suche nach Erlösung und von den verschlungenen Abwegen der Seele.

Die trübe Schönheit der Komposition fängt den Betrachter in doppelbödiger Geborgenheit, nur um ihn unvermittelt und viel zu früh auszustoßen, wie es geschlossene Gemeinden tun können. Mit seiner Kürze, dem zurückgenommenen, aller überflüssigen Effekte baren Plot und dem in zahlreichen schlechten und mittelmäßigen Rollen verschlissenen Peter Stromare als Hauptdarsteller erinnert der introvertierte Thriller an ein Fernsehspiel. Was Small Town Murder Songs auszeichnet, ist seine Fähigkeit seinerseits persönliche Melodien im Zuschauer zu wecken. In Einklang mit dem Filmtitel besitzt Small Town Murder Songs seine ganz eigene Melodie. Die gospelartigen Choräle und pulsierenden Klänge des Soundtracks beschwören die versteckten Perversionen und verleugneten Geheimnisse hinter den verkniffenen Fassaden-Gesichtern der Mennonitengemeinde. Ihre symbolische Dichte hallt in der Handlung nach: vom Schuldhaft-Bedrohlichen hin zu den milderen Klängen des Schlussakkords.

Das beklemmende Kabinettstück balanciert auf dem schmalen Grad zwischen komplexem Drama und schwerfälliger Bedeutsamkeit. Der durchdringende Blick des filmischen Porträts einer Canadian Gothic ist noch fühlbar, lange nachdem die Augen davon abgewandt sind.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/small-town-murder-songs