Tom meets Zizou – Kein Sommermärchen

Zwischen Oper und Trauerspiel

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Wenn ein Fußballer den Spitznamen "Mozart" weghat, dann macht er es den Schlagzeilentextern natürlich einfach. Dann lässt Mozart die Kugel rollen – und dirigiert ein anderes Mal statt großer Oper nur noch ein Trauerspiel. Thomas Broich alias Mozart hat Höhen und Tiefen erlebt wie vielleicht sonst nur die bekannteren Sebastian Deisler oder Robert Enke, allerdings ohne tragischen Ausgang. Dokumentarfilmer Aljoscha Pause begleitete das Ausnahmetalent in einem beeindruckenden Langzeitporträt neun Jahre. Ein Film nicht nur für Fußballfans, sondern für alle, die sich für die Tücken des Ehrgeizes interessieren.
Vermutlich erinnern sich vor allem Experten und Anhänger von Borussia Mönchengladbach oder dem 1. FC Köln an den begnadeten Mittelfeldregisseur, der früh als zweiter Günter Netzer gehandelt wurde, aber nicht mit jedem Trainer zurecht kam – und auch nicht mit dem Erwartungsdruck. Denn die Glanzzeit des einstigen "Hoffnungsträgers", der einmal in einem Atemzug mit Philipp Lahm und Sebastian Schweinsteiger genannt wurde, liegt sieben, acht Jahre zurück. Damals gab der ehemalige U21-Nationalspieler sein Debüt in der Bundesliga. Schnell wurden Talentscouts und auch der Bundestrainer auf ihn aufmerksam. Dass er im Nationaldress auflaufen würde, schien nur eine Frage der Zeit, die WM 2006 ein realistisches Ziel.

Aber der geniale Dribbler stand sich zu oft selbst im Weg. Unter anderem auch deshalb, weil er mit seiner Intellektualität und seinem Anderssein kokettierte. Gern ließ er sich in Magazinen mit einem Buch in der Hand ablichten. Und den Spitznamen "Mozart" fand der Liebhaber klassischer Musik anfangs gar nicht so lästig. Bei autoritären Trainern wie Dick Advocaat biss der Freigeist allerdings auf Granit. Die verlangten Disziplin statt Kreativität, Laufarbeit statt Pässen, denen Broich eine eigene "Poesie" abgewann. Dass der junge Ballkünstler einem Zinedine Zidane nachstrebte und eine gewisse Freiheit für sein Spiel brauchte, interessierte angesichts des Erfolgsdrucks niemanden, taktische Zwänge hatten Vorrang. Irgendwann ging es nur noch bergab. Broich geriet in eine veritable Depression, aus der er sich aber befreite und in Australien zu alter Form aufspielte.

Grimme-Preisträger Aljoscha Pause zeigt in stimmungsvollen Bildern und schönen Tempowechseln vieles in einem. Er entwirft ein kritisches Bild des deutschen Profifußballs, in dem für sensiblere Typen wie Deisler, Enke oder eben auch Broich kein Platz zu sein scheint. Er nimmt zugleich die problematische Rolle der Medien unter die Lupe, die einen Hoffnungsträger entweder hochjubeln oder verdammen, ihm aber keine Zeit gönnen, an Niederlagen zu wachsen. Er erzählt aber auch von den selbst verursachten Problemen, die die Kombination von hohem Ehrgeiz und geringer Frustrationstoleranz mit sich bringt. Regisseur und Protagonist, die sich in den neun Jahren 40 Mal zu Dreharbeiten trafen, kommen sich auf eine beeindruckende Weise nahe. So entstehen erstaunlich freimütige Einblicke in eine Persönlichkeit, die sich unermüdlich selbst befragt und sich trotz aller Zweifel immer wieder aus dem Sumpf zieht. Auch wenn der "Wille zum Scheitern", den Trainer Michael Oenning seinem Schützling und Freund bescheinigt, ein geheimer Schlüssel zu dessen Psyche zu sein scheint.

Glücklicherweise bietet Tom meets Zizou – Kein Sommermärchen nicht nur diese Deutung als einzige Wahrheit an. Der Film hält viele mögliche Interpretationsansätze offen, die sich nicht auf einen gemeinsamen Nenner reduzieren lassen, sodass sich der Zuschauer trotz eines manchmal zu ausführlichen Kommentars sein eigenes Bild machen wird. Dazu trägt der einfache, aber wirkungsvolle Kniff bei, zwischen die chronologisch erzählte Geschichte immer wieder Bilder aus Australien zu schneiden, also von der bislang letzten und überaus glücklichen Karrierestufe des mittlerweile 30-jährigen Fußballers. Im Rückblick sieht Thomas Broich naturgemäß vieles anders. Und diese Einsichten mit seinen Aussagen aus dem aktuellen Erleben zu kontrastieren, hat einen eigenen Reiz.

Noch reizvoller ist die Freude an den Archivaufnahmen von Broichs erfolgreichsten Spielen: wunderbar elegante Dribblings, Kabinettstückchen mit Ball und Gegner sowie Pässe, die jede Abwehr alt aussehen lassen. Wenn ihm die Trainer den nötigen Freiraum lassen, dann gewinnt Broichs Auftritt eine Leichtigkeit, die tatsächlich an Mozart denken lässt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/tom-meets-zizou-kein-sommermaerchen