Arschkalt

Ein emotionaler Eisklotz taut auf

Eine Filmkritik von Red.

Früher, ja früher war alles besser. Früher, da war Rainer Berg (Herbert Knaup) selbst Chef eines florierenden Familienunternehmens. Doch dann kam die Pleite, die er seinem Vater bis heute nicht eingestanden hat, und die Scheidung von seiner Frau, der man zu der Trennung nur gratulieren kann. Um dem alten Herren das kostspielige Altersheim zu finanzieren, dreht Berg seine Runden durch die norddeutsche Provinz am Steuer eines Transporters für Tiefkühlkost. Immerhin hat er so seine Ruhe vor den lieben Mitmenschen, die der ausgewiesene Misanthrop noch mehr hasst als Gefrierbrand. Mit beißendem Zynismus und demonstrativ zur Schau gestellter Eiseskälte hält Berg die Kunden und die Kollegen gleichermaßen auf Distanz.
Den ehernen Gesetzen der (zumal deutschen) Komödie folgend soll sich das aber bald ändern, denn Berg bekommt von seiner neuen niederländischen Chefin Lieke van der Stock (Elke Winkens) ausgerechnet den stets redseligen und fröhlichen Tobias Moerer (Johannes Allmayer) auf den Platz neben sich gesetzt. Zweck der Maßnahme ist es, dass Berg aus dem Plappermaul binnen zwei Wochen einen guten Verkäufer macht – sonst ist Berg seinen Job los. Zwar ist Moerer ein ausgesprochener Tollpatsch, doch mit seiner unbedarft-fröhlichen Art kommt er bei den Kunden bestens an und schon bald schnellen die Umsätze des ungleichen Gespanns förmlich in die Höhe. Und im Verlauf der Reise wird nicht nur so manche Kühlkette durchbrochen, sondern auch der emotionale Eisklotz Rainer Berg taut unter dem Eindruck der Ereignisse sichtlich auf...

Auf den ersten Blick erscheint André Erkaus Tiefkühlkomödie Arschkalt wie eine todsichere Bank: Skurrile Charaktere und ein Arbeitsmilieu, das alltäglich und befremdlich zugleich ist und zudem äußerst sinnfällig emotionale Zustände transportieren kann, dazu die schnoddrig-norddeutsche Art, die den lakonischen Witz der Geschichte bestens untermalt – da kann eigentlich kaum etwas schiefgehen. Sollte man zumindest meinen. Leider kommt dann doch alles anders. Und das gilt nicht nur für Rainer Berg, sondern auch für den Zuschauer.

Denn das Problem bei der Sache ist: All das hat man bereits vieltausendfach gesehen – und zwar meistens besser als hier: Die Formel, zwei grundsätzlich verschiedene Charaktere miteinander auf Geschäftsreise durch die Provinz zu schicken, kennt man spätestens seit Indien mit Alfred Dorfer und Josef Hader von Paul Harather. Das ist nun auch schon wieder 18 Jahre her und war damals wesentlich erfrischender, charmanter und kraftvoller als heute.

Trotz Erkaus unbestreitbaren Fähigkeiten zu spritzigen Dialogen erweisen sich gerade diese als eines der wesentlichen Probleme des Films: Während man die Geschwätzigkeit der Protagonisten in Selbstgespräche aufgrund des Handlungsortes Callcenter noch gut verkraften konnte, gehen einem hier die Wortkaskaden (vor allem die kalauernden Fragen Moerers) bald auf die Nerven, zumal sie nicht verdecken können, dass Erkau seine Figuren zu viel reden und zu wenig handeln lässt. Dass sich am Ende alle mühsam konstruierten Probleme mit großer Leichtigkeit von selbst erledigen, ist sowieso von Anfang an so klar wie Kloßbrühe und niemals wirklich ernsthaft bedroht.

Am ärgerlichsten innerhalb des ganzen Konstrukts ist dabei die Figur Moerers, für deren Hintergründe und Motivationen sich Arschkalt nicht die Bohne interessiert. Wie ein Stichwortgeber darf diese eigentlich recht tragische Gestalt zwar immer wieder für (vermeintliche) Lacher sorgen, doch niemals kommt man diesem Mann mit der merkwürdig verqueren Selbsteinschätzung wirklich nahe oder empfindet gar Mitgefühl für ihn, da er im Gegensatz zu Rainer Berg niemals Eigenständigkeit oder Profil gewinnt.

So ist Arschkalt nichts weiter als lediglich in wenigen Momenten amüsante, aber insgesamt viel zu wortreiche und vorhersehbare Komödientiefkühlkost von der Stange, die im Fernsehen weitaus besser aufgehoben wäre als im Kino. Und ohne einen Hauptdarsteller namens Herbert Knaup bliebe einem dieser Film womöglich ausschließlich als wenig wärmendes Vergnügen in Erinnerung.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/arschkalt