Soy libre - Ich bin frei

Der Reiz der Langsamkeit

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Havanna, mon amour – so oder so ähnlich könnte dieser Film auch heißen. Denn er ist eine Liebeserklärung an eine Stadt und ein Land, das die deutsche Dokumentarfilmerin Andrea Roggon schon seit ihrem 14. Lebensjahr fasziniert. Vielleicht handelt es sich gerade wegen der langjährigen Beziehung um eine Liebeserklärung der unpathetischen Art - widersprüchlich, zerrissen, schmerzhaft, aber von intensiver Schönheit. Vorausgesetzt, man ist bereit, sich von dem langsamen Rhythmus dieser Spurensuche gefangen nehmen zu lassen.
Andrea Roggon weist erst im Abspann darauf hin, aber es ist wichtig, die Information schon vorher zu haben, um sich auf die formale Besonderheit einlassen zu können: Fast alle Interviewpartner, deren Stimmen man aus dem Off hört, sind nicht im Bild zu sehen. Ihre oft kritischen Kommentare zum kubanischen Alltag kombiniert die Kamera mit Beobachtungen anderer Menschen, mit Bildern vom Strand, einer Straße bei Regen, einer Busstation oder einer Taxifahrt. Diese Eigenständigkeit von Bild und Ton entfaltet im Lauf des Films ihren eigenen Reiz. Mal gehen sie völlig getrennte Wege, mal nähern sie sich an. In kurzen Momenten scheint das Bild sogar eine Art Symbol zu sein, aber im nächsten Augenblick befreit es sich wieder aus der allzu naheliegenden Indienstnahme.

Dass die Menschen aus Havanna, mit denen Andrea Roggon für ihren Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg gesprochen hat, anonym bleiben, hat natürlich in erster Linie einen inhaltlichen Sinn. Die Regisseurin, die 2006 ein Auslandsjahr an der internationalen Filmschule in Havanna absolvierte, wusste, dass sich ihre Interviewpartner viel freier äußern würden, wenn die Kamera außen vor bleibt. Und Freiheit ist schließlich das Thema des Films. Unter anderem deshalb, weil es sich während des Studienjahres in den vielen Begegnungen und Gesprächen als immer wiederkehrendes Anliegen herausstellte.

Nun wäre es einfach gewesen, die Empörung über ein Land, das seinen Bewohnern die Reisefreiheit verweigert, in ein politisch korrektes Pamphlet zu packen. Genau das macht jedoch Andrea Roggon nicht. Sie schildert in aller Klarheit die Gefühlslage des Volkes und konfrontiert die Fakten mit Fidel Castros Leitspruch "Revolution bedeutet, niemals zu lügen". Aber sie verdichtet die realen Gegebenheiten nicht zu einer These, die nur ein einziges Urteil zuließe. Statt dessen nimmt Soy libre- Ich bin frei eine beobachtende Haltung ein, die unterschiedliche Wahrnehmungen nebeneinanderstellt. Gibt es innerhalb dieses "Gefängnisses" nicht auch eine Menge Lebensfreude? Werden Grenzen allein vom Regime gesetzt oder wäre mehr möglich, wenn man sich nur trauen würde? Und was ist mit Yoani Sánchez, der berühmten Bloggerin, von der man sagt, sie raube Fidel Castro den Schlaf, die aber zugleich die einzige Regimegegnerin ist, mit der sich der alternde Revolutionsheld öffentlich auseinandersetzt?

Das reizt alles nicht zu schnellen Urteilen in einer Dokumentation, die vor allem auch durch ihre Ästhetik einen geduldigen, fast meditativen Blick fördert. Und so bewegen wir uns mit der Kamera (Hagen Schönherr und Petra Lisson) durch eine Stadt, die eine beneidenswerte Ruhe atmet, ganz vorsichtig und tastend, in ungeschnittenen Einstellungen, in denen die Kamera einfach nur ihre Neugier und Entdeckerfreude auslebt an dem, was da ist und was vielleicht im nächsten Moment passieren könnte. Dabei schaut sie den Menschen oft tief in die Augen und es entstehen immer wieder magische Momente, von denen man spürt, dass man sie niemals so hätte planen können. Fernab touristischer Klischees zeichnet Andrea Roggon das Sehnsuchtsbild eines Kubas, das zugleich harte Realität ist. So widersprüchlich geht es eben manchmal zu in Liebesdingen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/soy-libre-ich-bin-frei