Sommer in Orange

Eine Herausforderung für die bayerische Toleranz

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Auf den grünen Wiesen hinter dem Huberhof sieht man Kühe weiden, im Vordergrund aber hüpfen Bhagwan-Jünger in orangeroten Gewändern durch das Gras. Wir befinden uns im Genre des modernen Heimatfilms, dessen produktivster Regisseur Marcus H. Rosenmüller ist. Seine neue Komödie setzt auf den Witz eklatanter kultureller Gegensätze und blickt zurück in die achtziger Jahre, als spirituell bewegte Sannyasin-Kommunen wie Pilze aus dem Boden schossen. Selbst ins hinterste bayerische Dorf, das im Film den Namen Talbichl bekommt, verirrten sich möglicherweise ein paar meditierende Anhänger des freien Bewusstseins und der freien Liebe.
Hauptperson ist die zwölfjährige Lili (Amber Bongard), deren glückliche Kinderjahre in einer Berliner Sannyasin-Kommune 1980 zu Ende sind. Mit ihrem jüngeren Bruder Fabian (Béla Baumann), ihrer Mama Amrita (Petra Schmidt-Schaller), deren aktuellem Freund Siddharta (Georg Friedrich) und ein paar weiteren Erwachsenen geht es nach Bayern. Der kernige Österreicher Siddharta hat in Talbichl den Huberhof geerbt. Dort will er mit Amrita und den anderen nicht nur wohnen, sondern auch die Scheune zum Therapiezentrum umbauen, in dem Anhänger des indischen Gurus Bhagwan Shree Rajnesh ihre inneren Blockaden überwinden sollen. Die Erwachsenen fühlen sich in dem rustikalen Haus mit großem Grund vor der ländlichen Kulisse gleich pudelwohl. Aber Lili stößt in der Schule auf Spott und Ablehnung. Anders als die Erwachsenen sehnt sie sich danach, ins Dorf integriert zu werden.

Amrita bekommt von den Nöten ihrer Tochter nichts mit, denn ihr Tag ist mit Dynamischer Meditation und dem Ausdiskutieren alltäglicher WG-Konflikte vollgepackt. Lili entscheidet sich für ein Doppelleben: Nur noch zuhause trägt sie orangerote Kleidung und Mala-Kette, in der Schule sieht sie mit weißer Bluse, blauem Rock und geflochtenen Zöpfchen aus wie die anderen Mädchen. Um an der bevorstehenden 350-Jahr-Feier von Talbichl teilnehmen zu können, bemühen sich Lili und Fabian auch um Mitgliedschaft in einem Verein.

In ihrem ersten Drehbuch für einen Spielfilm verarbeitet Ursula Gruber eigene Kindheitserinnerungen. Mit ihrem Bruder, dem Produzenten Georg Gruber, und ihrer alleinerziehenden Mutter wuchs sie in den achtziger Jahren in einer Sannyasin-Kommune in Oberbayern auf. Von diesem realen Hintergrund profitiert die pointierte Auswahl typischer Merkmale aus dem Alltag der Bhagwan-Jünger. Der Kampf gegen die eigene Eifersucht, die ja verpönt ist, Aggressionsabbau mit Hilfe von Kissen, sowie Toilettentüren, die nicht geschlossen werden dürfen – was galt in den achtziger Jahren nicht alles als fortschrittlich, und zwar nicht nur unter Sannyasins, was heute schon wieder lächerlich überholt wirkt! Rosenmüller inszeniert das Kommunenleben als reine Persiflage, die erwachsenen Mitglieder sind weniger ernstzunehmende Charaktere, als überzeichnete Comedyfiguren. Ihr hervorstechendstes Merkmal ist kindliche Begeisterung, besonders rein und strahlend wirkt sie in der Darstellung Petra Schmidt-Schallers.

Das Münchner Filmfest, auf dem 2006 Rosenmüllers Debüterfolg Wer früher stirbt, ist länger tot Premiere hatte, lehnte Sommer in Orange für sein Programm 2011 ab. Dabei trifft der Regisseur auch diesmal wieder einen komödiantischen Ton, der sich vor den Widrigkeiten im dörflichen Leben nicht scheut und dabei immer wieder auf erfrischende Weise entlarvend wirkt. Die Angst nicht nur des Bürgermeisters (Heinz-Josef Braun), die Sannyasins brächten Drogen und RAF-Terrorismus nach Talbichl, dient als erheiterndes Motiv. Auch die zur Illustration von Tagträumen und Fantasien verwendeten Effekte erinnern an den märchenhaften Zauber des Erstlingsfilms.

Ebenfalls geblieben ist der Grundton der Erzählung, der ebenso milde wie verschmitzt ist: Das Streben nach Harmonie ist überdeutlich; es zeigt sich etwa in Gestalt der lieben und aufgeschlossenen Bürgermeistersgattin (Bettina Mittendorfer) oder in dem Umstand, dass die meisten Charaktere das Herz dann doch auf dem rechten Fleck haben. Sogar die unvermeidliche Schlägerei auf dem Dorffest zelebriert Rosenmüller als bukolisches Geschehen, als Paartanz ringender Leiber, als Sonderform der Umarmung. Dabei ähnelt der Film – durchaus passend zum Handlungsort – naiver Malerei, ist nah dran am "einfachen" Volk und voller Sympathie für die schrägen Charaktere, ohne volkstümelnd oder anbiedernd zu sein.

"Ich könnte mich bei meinen Filmen natürlich auch für eine realistischere und manchmal auch härtere Sichtweise entscheiden, aber mir ist es wichtiger, einen Wunsch oder eine Utopie in die Welt zu tragen", schreibt Rosenmüller im Presseheft zu seinem Film. Nimmt man dies als Kriterium, so wird Rosenmüller in Sommer in Orange den eigenen Ansprüchen absolut gerecht. Ob das Publikum es ähnlich sieht, wird sich dann im Kino zeigen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/sommer-in-orange