Wunderkinder

Freundschaft ohne Grenzen

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Der klangvolle Titel des Films erfüllt vielleicht nicht unbedingt die Erwartungen, die man mit ihm verbindet. Denkt man an Das Wunderkind Tate (1991, Regie: Jodie Foster) oder Vitus (2006, Regie: Fredi M. Murer), kommen einem meist kindliche Hochbegabung und überdurchschnittliche Intelligenz in den Sinn. Regisseur Marcus O. Rosenmüller (nicht zu verwechseln mit Marcus H. Rosenmüller) setzt seine Wunderkinder ganz anderen Dramen aus. In Gedenken an 1,5 Millionen ermordete jüdische Kinder erzählt er die spannende Geschichte von drei Freunden, die mit ihrer Musik alle Grenzen überwinden und sich mitten im Krieg tief verbünden.
Die Wunderkinder: Das sind der junge Violinist Abrascha (Elin Kolev) und die begabte kleine Pianistin Larissa (Imogen Burrell). Wir befinden uns in der Ukraine im Jahr 1941. Als „Repräsentanten der Sowjetunion“ spielen sie in den großen Konzertsälen Russlands – vor der Parteielite und vor Stalin. Sogar eine Einladung zum Konzert in der New Yorker Carnegie Hall flattert ins Haus – aber zu dem Auftritt kommt es nicht. Hitler macht dem jungen, musikalischen Duo einen Strich durch die Rechnung. Denn Abrascha und Larissa sind Juden. Der Angriff der Deutschen auf Russland verändert nicht nur ihre musikalischen Karriere, sondern für immer ihr Leben.

Bevor die Tragik der Geschichte einsetzt, lernen Larissa und Abrascha das Mädchen Hanna kennen (Mathilda Adamik). Sie ist die Tochter des in der Ukraine stationierten deutschen Brauers Max Reich (Kai Wiesinger) und seiner Frau Helga (Catherine Flemming). Hanna ist selbst eine talentierte Geigerin und wünscht sich nichts sehnlicher, als Unterricht mit den russischen Wunderkindern zu bekommen. Larissa und Abrascha reagieren verhalten. Erst als ihre Lehrerin Irina Salmonova (Gudrun Landgrebe) einwilligt, auch Hanna zu unterrichten, entwickelt sich zwischen den Kindern eine innige, unbekümmerte Freundschaft.

Aus treuen Freunden werden mit dem plötzlichen Ausbruch des Krieges Helfer in der Not. Als Hitler Russland angreift, muss sich Hannas Familie als Feind im Land vor den Russen verstecken. Als die Deutschen die Ukraine erreicht haben, wendet sich das Blatt. Da müssen sich die jüdischen Familien von Abrascha und Larissa verstecken. In beiden Fällen sind es vor allem die Kinder, die unabhängig von ihrer Herkunft und ihres Glaubens sich gegenseitig helfen und sich dabei allerhand Tricks einfallen lassen. Wenn Larissa ihren Vater bei einem Bombenangriff auf das örtliche Krankenhaus fragt: "Warum tun die das?" und er antwort: "Die wollen uns nur zeigen, wie grausam sie sein können", spricht das dafür, wie wenig die Kinder von den Umständen verstehen, die sie auseinander reißt. Was interessiert die Kinder, dass sie Juden, Deutsche oder Kommunisten sind? Absolut nichts! So etwas kann man den Kindern auch nicht erklären.

Es nimmt kein gutes Ende. Mehr darf hier nicht verraten werden. Die schauspielerische Leistung der drei Kinderdarsteller ist brillant. Sie nehmen ihre Zuschauer von der ersten Filmminute mit – in ihre Gefühle, ihre Unbeschwertheit, ihren Kummer. Elin Kolev, der den Abrascha verkörpert, gilt auch in der Realität als ein Ausnahmetalent in der Klassikszene und begeistert mit seinen 14 jungen Jahren Publikum und Kritik gleichermaßen. Mit großem Staraufgebot erzählt Regisseur Marcus O. Rosenmüller (Der tote Taucher im Wald) eine universelle Geschichte über Freundschaft, Vertrauen und die Kraft der Musik, die alle Grenzen überwindet. Er platziert sie in einen Kontext, dessen Tragik uns immer wieder wachrütteln soll und muss. So ist es nur konsequent, dass der Film auf dem diesjährigen Jerusalem Filmfestival mit einem der Hauptpreise ausgezeichnet wurde.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/wunderkinder