The Rum Diary

Angst und Schrecken in Puerto Rico

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

Ende der 90er stand Johnny Depp schon einmal für einen Film vor der Kamera, der auf einem Roman von Hunter S. Thompson basierte. Terry Gilliams Angst und Schrecken in Las Vegas, besser bekannt unter dem Originaltitel Fear and Loathing in Las Vegas, war ein voller Erfolg und ist heute schon Kult. Dass mit The Rum Diary nun ein weiteres Werk Thompsons seinen Weg auf die Kinoleinwände findet, ist nicht zuletzt Johnny Depp selbst zu verdanken, der mit dem Gonzo-Journalisten eng befreundet war und den Film mit produzierte.
Die Geschichte spielt im Puerto Rico der 1950er Jahre. Paul Kemp (Johnny Depp), ohne Frage Platzhalter für Hunter S. Thompson selbst, tritt eine Stelle als Journalist einer Lokalzeitung an. Das Land ist im Aufruhr: Die puerto-ricanische Bevölkerung protestiert gegen die Ausbeutung der Insel durch amerikanische Geschäftsleute. Doch davon will die Zeitung, die sich vornehmlich an Touristen aus den USA richtet, lieber nichts schreiben. Paul Kemp befindet sich im Spannungsfeld des von ihm wahrgenommenen Unrechts, der kultivierten, alkoholisierten Gleichgültigkeit seiner Kollegen und dem unmoralischen Reiz der Schönen und Reichen.

Bruce Robinson, der für Regie und Drehbuch verantwortlich ist, hat sich bei der Umsetzung des Romans für die Leinwand große Mühe gegeben, das zeitgenössische Flair zu transportieren. Für die entsprechende Optik sorgt neben Kulisse und Kostüm vor allem der 16mm-Film, der The Rum Diary von der ersten Sekunde an die Ästhetik einer vergangenen Ära verleiht. Die Vor-Ort-Aufnahmen Puerto Ricos vermitteln darüber hinaus einen Eindruck davon, wie verlockend das noch teilweise unberührte Paradies für die amerikanischen Investoren gewesen sein muss.

Während auf stilistischer Ebene Filmmaterial, Ausstattung und Schauplatz harmonisch zusammenspielen und ein überzeugendes Ganzes bilden, pendelt das Konzept unentschieden zwischen Komödie und sozialkritischem Drama. Es scheint, als könne sich Bruce Robinson nicht entscheiden, ob er sein Publikum eher unterhalten oder belehren will. Pauls exzentrische Kollegen, allen voran Moburg (Giovanni Ribisi), dem der selbstdestillierte Rum den Verstand geraubt hat, entspringen eher dem komödiantischen Genre. Absurde Anblicke wie eine mit Diamanten besetzte Schildkröte verleiten zum Schmunzeln und erschaffen Distanz zum Geschehen auf der Leinwand. Gleichzeitig aber ist Paul Kemps Blick auf die Ausbeutung Puerto Ricos durch die amerikanischen Geschäftsleute viel zu kritisch, um sie durch Humor zu verharmlosen. Weder in die eine noch in die andere Richtung ist The Rum Diary konsequent und belässt den Zuschauer in dieser unangenehmen Ambivalenz, in der er sich nicht sicher sein kann, ob über das Gesehene gelacht werden darf oder doch Betroffenheit angebracht wäre.

Im Vergleich zu Angst und Schrecken in Las Vegas ist The Rum Diary geradezu nüchtern und besonnen. Abgesehen von einem kurz gehaltenen Ausflug in psychedelische Sphären beschränkt sich Bruce Robinson eher auf die Absurdität des Alltäglichen. Weder Slapstick-Szenen noch Schenkelklopfer verleiten zu Lachsalven. Ein Schmunzeln ist das Höchste der komödiantischen Gefühle. Leider kann der Film das Fehlen dieses spezifischen Humors nicht durch andere Inhalte aufwiegen. Auch die Liebesgeschichte zwischen Paul Kemp und Chenault (Amber Heard) endet bevor sie richtig begonnen hat und bleibt somit letztendlich unbedeutend.

All diese Kritik ist jedoch Hunter S. Thompson selbst nicht anzulasten, da die Leinwandadaption mit seinem Quelltext recht frei umgeht. Trotzdem ist es schade, dass The Rum Diary aus dem Schatten seines großen Vorgängers nicht herauszutreten vermag und Thompsons kritischer Bick auf den Imperialismus, der gerade heute wieder von Bedeutung ist, in einem zwiespältigen Film verpufft.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-rum-diary