Take Shelter - Ein Sturm zieht auf

Versteckt euch, wenn die Wolken aufziehen

Eine Filmkritik von Patrick Wellinski

Das Kino guckt ungern in den Himmel. Vielleicht, weil der Blick nach oben nur selten etwas Gutes verspricht. Godard (Passion) und Kurosawa (Ran) richteten in den 80ern die Kamera häufig auf den Himmel. Es wurde deutlich, welch unheilvolle Kraft von simplen Wolkenkonstellationen ausgehen kann. Und selbst heute, wenn sich das Weltkino sehr gerne in postapokalyptische Visionen eines Lars von Trier (Melancholia), Bela Tàrr (Turin Horse) oder Mike Cahill (Another Earth) stürzt, erkennt man, dass der Blick nach oben nichts von seiner furchtvollen Vorahnung eingebüßt hat. Auch Jeff Nichols guckt in Take Shelter gen Himmel – und wie gesagt, es sieht nicht gut aus.
Wolken, Sturm, tödliche Gefahr – das ist die unheilvolle Trias, die den Familienvater Curtis (Michael Shannon) in alptraumhaften Visionen regelmäßig heimsucht. Dickflüssiger, an Motoröl erinnernder Regen tropft auf ihn nieder, während wild gewordene Vogelschwärme ihn, seine taubstumme Tochter Hannah (Tova Stewart) und auch seine Frau Samantha (in ihrer bisher besten Rolle: Jessica Chastain) angreifen. Die quälenden Träume kommen scheinbar aus dem Nichts und drohen langsam das geordnete und glückliche Leben der Familie auseinanderbrechen zu lassen.

Bereits mit seinem Debüt Shotgun Stories hatte Jeff Nichols eine Geschichte aus dem "Heartland" Amerikas erzählt. Diese herbe Rachegeschichte verfügte bereits über jene schroffe Aura, die nun auch Take Shelter ihren Stempel aufdrückt. Denn der 32-jährige Regisseur hat ein untrügliches Gespür für den prägenden Einfluss, den Landschaften auf den Menschen ausüben. Er interessiert sich dafür, wie sich eine gewisse Art zu leben, zu sprechen und zu denken im Spiegel der ewigen Natur entwickelt. Obwohl wir es hier mit dem gerade erst zweiten Film des Regisseurs zu tun haben, lässt sich bereits unschwer erkennen, wie sehr die wesentlichen Motive um das Begriffspaar Natur und Kultur kreisen. Damit stößt Nichols direkt ins Herz des Westerngenres, dessen Geist er elegant heraufbeschwört, ohne dabei selber klassische Western zu inszenieren.

In seinem neuen Film beweist er zudem, dass er die glanzvolle Fähigkeit besitzt, digital aufwändige Traumsequenzen derart natürlich aussehen zu lassen, dass der Zuschauer Curtis' Unsicherheit über die Trennung von Realem und Alptraumhaftem teilt. Es ist ein Film, der sich Zeit lässt, der sehr langsam und gemächlich sein dramaturgisches Konzept entfaltet. Er legt sich nicht fest und hält den Grundton der Verunsicherung seiner Hauptfigur bis zur letzten Einstellung durch. Wird Curtis nun tatsächlich langsam wahnsinnig, oder steht seine Umwelt wirklich vor einer schrecklichen Katastrophe?

Take Shelter – und das macht ihn letztlich so herausragend – ist auch ein Film, der sich zeitlich sehr genau verorten lässt (jenseits seiner Traumsequenzen). Er spielt im Amerika unter Barack Obama. Das Amerika nach dem Immobilien-Crash, nach Lehman Brothers; ein Amerika, in dem die Bevölkerung mehr denn je die Existenzangst im Nacken spürt. Im Film sind diese Ängste keine fernen Echos, sondern sehr real. Wenn Curtis einen Kredit für sein Haus aufnehmen möchte, um den Umbau des Tornadoschutzbunkers in seinem Garten zu finanzieren, nimmt ihn sein Finanzberater zur Seite und sagt: "Ich sage dir, dies ist ein verdammt riskanter Kredit." Gleiches gilt für Curtis' Krankenversicherung, die der taubstummen Tochter eine wirkungsvolle Behandlung bezahlen würde. Ihr Wert und ihre Seltenheit wird deutlich, wenn Curtis durch seine Wahnvorstellungen seinen Job riskiert.

All diese Spannungsfelder bündeln sich in der Figur von Curtis und werden vor allem von Michael Shannon zusammengehalten. Er ist schlicht und einfach großartig als gewöhnlicher, introvertierter Mann, der keine Sprache und Worte für das finden kann, was ihn derart bewegt. In dieser Verzweiflung und Überforderung stößt er an seine körperlichen und schließlich auch an seine geistigen Grenzen. Seine größte Angst ist es, dass er ebenfalls schizophren werden könnte wie seine Mutter. Und da am Ende das Lesen von Fachliteratur nicht hilft, beten nicht hilft, ignorieren nicht hilft, schweigen, weinen und reden nicht helfen, beschließt er den Tornadoschutzkeller im Garten zu einem einzigartigen Überlebensbunker auszubauen.

Shannons erdige Performance ist aber nicht nur Abbild eines rauen und gefühlsarmen Mittelwestlers, sie ist auch Verweis und Ausdruck einer kollektiven Unsicherheit. So gewinnt Take Shelter eine erstaunlich drängende Aktualität, denn im ohnmächtigen Zögern, Zweifeln und Verzweifeln aller Figuren spiegelt etwas sehr Gegenwärtiges wider. Nichols inszeniert gekonnt und sehr wirkungsvoll eine diffuse Furcht, ein Ausgeliefertsein in einer Welt, in der altbewährte Rettungsanker nicht mehr greifen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/take-shelter-ein-sturm-zieht-auf