Ein brennender Sommer (2011)

Einen Sommer lang

Eine Filmkritik von Patrick Wellinski

Einen Sommer lang haben sie sich geliebt, gestritten, getrennt, erneut verliebt, geweint, geküsst und geschlagen. Einen Sommer verbringen Frédéric (Louis Garrel), Angèle (Monica Bellucci), Paul (Jérôme Robart) und Elisabeth (Céline Sallette) in Rom. Alles Franzosen bis auf Angèle, die als italienische Schauspielerin gerade erst den Maler Frédéric geheiratet hat. In Philippe Garrels neustem Film Un été brûlant sitzen die vier jungen Menschen, wie Exilanten, in einem wunderschönen Anwesen am Rande der ewigen Stadt und erleiden die Höhen und Tiefen zwischenmenschlicher Beziehungen.

Ein Regisseur wie Philippe Garrel hat es aus unerfindlichen Gründen nicht leicht, außerhalb seiner französischen Heimat wahrgenommen zu werden. Obwohl dieser Autorenfilmer seit nun mehr 30 Jahren mit seinen Filmen regelmäßig Preise der ganz großen Festivals gewinnt, kommen seine Werke eigentlich nie in die deutschen Kinos. Sie fristen ein völlig unverständliches Schattendasein auf nächtlichen Sendeplätzen auf ARTE oder verkümmern als unbeachteter DVD-Release. Dabei dreht Garrel Liebesfilme mit einem Verve, der stark an die Sehnsucht seines Vorbildes Francois Truffaut erinnert und daher auch viel über uns und unsere Träume, Lieben und Probleme zu sagen hat.

In seinem dreistündigen schwarz-weiß Film Les amants réguliers setzte Garrel den Aufstand der 68er in einen heftigen Kontrast zu den Gefühlswelten seiner Protagonisten. Draußen tobten die Straßenschlachten, wurden Molotow-Cocktails geworfen, man war sich sicher auf der richtigen Seite zu sein. Doch kaum schlossen sich die Studenten in das Haus ihres reichen Freundes ein, warfen sie ihre Ideale über Bord. Was zählt schon der Einsatz für eine freie Liebe, wenn die eigene Freundin mit dem WG-Kumpanen ins Bett steigt? Wer ist da schon in der Lage, den kleinen heftigen Stich in der Brust zu ignorieren, wenn sie sich nach diesem akzeptierten Seitensprung wieder ins Bett legt?

Un été brûlant geht da erzählerisch und ästhetisch konsequent einen Schritt weiter. Der Film ist nicht nur in der Gegenwart angesiedelt, er verzichtet auch auf jeglichen erzählerischen Ballast. Das Beziehungsgeflecht zwischen den vier Figuren schildert der Regisseur elliptisch in Episoden, die manchmal so kurz und skizzenhaft wirken, dass sie den Anschein von Zufallsprodukten haben. Diese reduzierte Bildersprache, setzt sich auch auf der Ebene der Dialoge und in den Bewegungen der Darsteller fort. Bellucci sagt einmal: "Ich weiß, dass er zu Huren geht." Und Louis Garrel antwortet darauf mit einer Aussage über das bourgeoise Konzept der Monogamie. Das klingt aus dem Zusammenhang gerissen eventuell gescheitert und lächerlich. Aber Garrel schildert eine festgefahrene und entrückte Welt, in der alle großen Kämpfe bereits ausgefochten sind. Die Charaktere dieses spröden Films sind sich zwar der Außenwelt bewusst, doch gesellschaftliche Grundprobleme wie die Ausbeutung von Einwanderern oder die massive Arbeitslosigkeit können sie nicht bekämpfen. Sie sind machtlos und in dieser Machtlosigkeit trifft der Film erstaunlicherweise den Nerv unserer Zeit.

In einer letzten, schmerzhaft ehrlichen Szene, äußert sich ein bereits toter Großvater (Maurice Garrel) und spricht die Worte, die sich wie ein prophetischer Kommentar über den ganzen Verlauf des Films legen. Als einstiger Kämpfer der Resistance weiß er, dass es früher einfacher war die Seite zu wählen. Es war einfacher das Richtige zu tun. "Hitler oder Stalin. Es gab kein Dazwischen", sagt er. Heute gibt es diese Unterscheidung nicht, die Fronten in unserer Welt verlaufen schon lange nicht mehr so geordnet und klar. Es gibt nicht die eine Gegenwart. Der einzige Krieg, den wir heute noch auf uns nehmen, ist der Krieg der Gefühle, die Auseinandersetzungen und Reibungen einer Beziehung.

Hat man Un été brûlant aber zu Ende gesehen, dann bekommt man das ungute Gefühl, dass auch dieser Kampf das mögliche Blutvergießen nicht wert ist. Wie kann man diesen resignativen Gestus umgehen? Wie kann man sich retten? Vielleicht liegt die Antwort in dieser unfassbar hypnotischen Sequenz, in der Monica Bellucci und Jérôme Robart zusammen auf einer Party zu den Klängen der 60er Jahre Popband The Kinks tanzen. Für einen kurzen Kinoaugenblick ist da ein Glück, dass das folgende Mühsal der Beziehungskrise zu legitimieren scheint. Es ist das pure Glück des Verliebens. Es ist die Sucht nach diesem einen Moment, für den es sich noch zu kämpfen lohnt – auch wenn man dafür mit dem Leben bezahlt.

(Festivalkritik Venedig 2011 von Patrick Wellinski)

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/ein-brennender-sommer-2011