In guten Händen

Wenn Frauen leiden

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Schlaflose Nächte, Erschöpfung, tiefe Traurigkeit – damit hatten schon die gut situierten Damen aus London im ausgehenden 19. Jahrhundert zu kämpfen. Was heute die ganz normalen Leiden einer Frau sind, die ihr Leben zwischen Job, Kindern, Haushalt und Ehemann unter einen Hut zu bringen versucht, bezeichnete man seinerzeit als "Hysterie". Die unter Hysterie leidenden Frauen bedurften im viktorianischen England einer ganz besonderen Heilmethode, die schließlich in der Erfindung des Vibrators gipfelte. Wie das genau vonstatten ging, erzählt die amerikanische Regisseurin Tanya Wexler in ihrem umwerfend komischen Spielfilm In guten Händen / Hysteria.
Alles beginnt mit den verzweifelten Frauen in der feinen Londoner Praxis von Dr. Robert Dalrymple (Jonathan Pryce). Als Hysterie- und vermeintlicher Frauen-Experte hat er es mit gut gefüllten Wartezimmern zu tun. Seine Heilmethode schlägt bei den Frauen voll ein. Bei ihm sind sie wahrlich in guten Händen. Dr. Dalrymple verpasst den Damen eine wohltuende, ölige und bis zur Verkrampfung führende Intimmassage. Bald wird er mit dem Ansturm nicht mehr fertig und stellt den ehrgeizigen jungen Arzt Mortimer Granville (Hugh Dancy) ein. Fortan ist es Mortimers Aufgabe, täglich an die Dutzend hysterischen Frauen zu "versorgen". Die älteren Damen sind genauso von ihm angetan wie Emily, die jüngere Tochter von Dr. Dalrymple (Felicity Jones). Doch weder die Verlobung mit Emily noch der zu Handkrämpfen führende neue Job macht Mortimer glücklich – gäbe es da nicht seinen alten Freund und Wissenschaftler Edmund St. John-Smythe (Rupert Everett) und Emilys emanzipierte Schwester Charlotte (Maggie Gyllenhaal), die Mortimers Weg komplett umzustülpen wissen.

Tanya Wexler (Finding North, Ball in the House) packt viel Stoff in ihren dritten Spielfilm: eine leidenschaftliche Liebesgeschichte, den elektrischen Fortschritt Ende des 19. Jahrhunderts, die Prüderie der Frauen, die nach Unabhängigkeit und Aufklärung ruft. Dennoch ist der Film alles andere als eine dröge Geschichtslektion. Vielmehr werden die Themen mit Charme und Chuzpe erzählt. Es sind wieder einmal die eigensinnigen Figuren, die letztendlich etwas bewirken und den Filmstoff interessant machen. Einerseits Maggie Gyllenhaal, die eine Charlotte verkörpert, die sich furios gegen alle Konventionen hinweg setzt, um für die Rechte der Armen und Unabhängigkeit der Frauen zu kämpfen. Anderseits Rupert Everett als Technik-Nerd, der zum Leidwesen seiner Hausmagd und im Dienste des Fortschritts in seinem Wohnzimmer herumexperimentiert.

Wie es letztendlich zur Erfindung des Vibrators kommt, soll an dieser Stelle noch nicht verraten werden. Wexler ist mit In guten Händen ein unterhaltsamer, charmanter Liebes- und Kostümfilm gelungen, der uns auf eine Zeitreise zurück ins viktorianische England nimmt. Schön ist vor allem die warme Atmosphäre des Films, der sich hauptsächlich in Innenräumen abspielt. Draußen vor der Tür riecht es ein bisschen stark nach Studioluft, aber das lässt sich bei dem Stoff wohl kaum vermeiden. Aber darüber tröstet der Humorfaktor hinweg.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/in-guten-haenden