I'm Carolyn Parker: The Good, the Mad and the Beautiful

Porträt einer amerikanischen Wutbürgerin

Eine Filmkritik von Festivalkritik Venedig 2011 von Patrick Wellinski

Carolyn Parker wohnt im Haus mit der Nummer 1001 in der Jordan Avenue, Lower 9th Ward, New Orleans, Louisiana. Doch als der Hurrikan Katrina die Stadt verwüstet, wird auch die rüstige Afroamerikanerin evakuiert und muss ihr Haus verlassen. Als sie wiederkommt, findet sie eine geplünderte Ruine vor. Aber das Fundament steht noch. Das reicht dieser durchsetzungsfähigen Frau, alles daran zu geben, um wieder hier einzuziehen. Sie ist die erste, die in das total zerstörte Wohngebiet zurückkehrt und sich einen Kleinkrieg mit der US-Bürokratie liefert, um dieses Ziel zu verwirklichen.
Regisseur Jonathan Demme (Das Schweigen der Lämmer) begegnete Carolyn Parker rein zufällig, als er einen Freund mit der Kamera durch das zerstörte New Orleans begleitet hatte. Das Resultat dieser prägenden Begegnung heißt I’m Carolyn Parker: The Good, the Mad and the Beautiful und ist ein sehr schönes Doku-Porträt im Gewand einer Sozialreportage geworden.

Demme besucht Carolyn über einen Zeitraum von vier Jahren immer wieder, um sich von ihr eine Art Situationsbeschreibung ihres Kampfes um den Wiederaufbau ihres Hauses geben zu lassen. Die Frau, die nicht auf den Mund gefallen ist, ist durch ihre forsche und durchsetzungsfähige Art sehr bekannt geworden. Ihre sture Idee, ihr Haus sofort wieder aufzubauen und sich nicht vom Staat für eine lange Zeit in billige Notunterkünfte stecken zu lassen, macht sie zu einer kleinen Prominenten in New Orleans und Umgebung. I’m Carolyn Parker zeigt, wie schwer es war, das geplünderte Haus überhaupt wieder an die kaputte Infrastruktur anzuschließen. So musste Carolyn lange kämpfen, damit ein Postbote ihr regelmäßig die Post bringt.

Demme interessiert sich in seinem vollständig auf DV gedrehten Dokumentarfilm aber auch für die Frau selbst, die er sehr einfühlsam interviewt. Ihr Leben als Afroamerikanerin in den 1960er Jahren in den USA wird somit auch zum Spiegel ihrer jetzigen Lage. Katrina riss den Leuten in New Orleans nicht nur das Dach von den Köpfen, sondern legte auch den gesellschaftlich noch tief verwurzelten Rassismus wieder frei. Carolyn Parkers Wut erklärt sich genau aus dieser Tatsache. Das schlechte Krisenmanagement nach der Katastrophe, die nicht eingehaltenen Hilfszahlungen der Regierung und die Bürokraten, die ihr Steine in den Weg legen – das erinnert Carolyn an die Diskriminierung der Schwarzen in den USA, wie sie es als kleines Mädchen erlebte. Diese Erinnerung setzt in ihr aber auch jene Kräfte frei, die damals zum Widerstand gegen den weißen Rassismus führten. Einmal bemerkt sie humorvoll, aber durchaus ernsthaft, dass es ihr äußerst unangenehm war, dass ihre Notunterkunft direkt an einer Baumwollplantage lag.

Die Reportage über eine amerikanische Wutbürgerin gelingt Jonathan Demme aus zwei Gründen: Zum einen verfügt er über eine heroische, aber auch sehr witzige Protagonistin, die als wahres Kraftpaket durch den Film führt und sichtlich viel Spaß dabei hat, ihre Geschichten und Anekdoten zu erzählen, die dem Film dann auch eine gewisse Leichtigkeit verleihen. Zum anderen schafft es Demme sich jeglichen moralischen und anklagenden Zeigefinger zu verkneifen. Anders als ein Michael Moore geht er nicht zu Politikern und Verantwortlichen, um sie mit Parkers Situation zu konfrontieren. Er greift nicht ein, hält sich zurück und konzentriert sich voll und ganz auf das unwiderstehliche Charisma dieser selbstbewussten Frau.

I’m Carolyn Parker ist ein Film, der viel von der Kraft der Veränderung erzählt. Doch Obamas Wahlkampf-Slogan "Change" von 2008 wirkt im Spiegel dieses Werkes blass und gescheitert. Carolyn Parker kann sich nämlich auf niemanden verlassen. Sie muss als Individuum alles allein in die Hand nehmen und sich durch alle äußeren Widerstände kämpfen, bis sie ihr eigenes Ziel realisiert hat und in ihr renoviertes Haus ziehen darf. Der Staat funkt nur dazwischen. Diese beeindruckende Frau hat so viel Kraft und Energie, dass man sich verwundert fragt, woher sie diese schöpft. Demme wäre nicht der feinfühlige und genaue Beobachter, der er ist, wenn er diese Frage nicht ganz subtil, aber dafür umso einprägendsamer in Szene setzen würde. Am Ende zeigt er Carolyn während einer Sonntagsmesse. Die Gemeinde stimmt einen Gospelsong an. Die meisten stehen. Nur Carolyn sitzt da, erschöpft, aber dennoch hoch konzentriert und fast schon kontemplativ. Denn für ihren Kampf brauchte sie die Hilfe von ganz oben.

(Festivalkritik Venedig 2011 von Patrick Wellinski)

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/im-carolyn-parker-the-good-the-mad-and-the-beautiful