The Grey - Unter Wölfen (2011)

Durch die Wildnis mit dem Sterbebegleiter

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Das Heulen setzt schon vor dem ersten Bild ein und markiert ein grenzenloses Revier: Überall dort draußen ist Wildnis. John Ottway (Liam Neeson) spürt die Kälte Alaskas auch in seinem Herzen. Er zieht den Anorak nicht aus, als er in der von lärmenden Ölarbeitern bevölkerten Bar einen Whisky trinkt. Mit düsterer Miene spricht er lediglich in Voice-Over, über seine Trauer um die verstorbene Frau, er schreibt ihr einen Brief, weil er sie auch hier am Ende der Welt nicht vergessen kann. Seine Arbeit besteht darin, draußen mit dem Gewehr in der Hand die Arbeiter zu bewachen. Meistens unterbricht nichts sein inneres Leiden, doch dann passiert etwas Verstörendes: Ein großer grauer Wolf rennt direkt auf die Leute zu und Ottway muss sich beeilen, um ihn noch rechtzeitig zu erschießen.

Bald darauf sitzen die Männer schlafend im Flugzeug und ihr Atem kondensiert in der kalten Luft – wenn das ein Zeichen ist, dann erneut kein Gutes. Die Maschine stürzt ab, und Ottway findet sich mit sieben anderen Überlebenden in der schneebedeckten Ödnis irgendwo in Alaska wieder. Einen von ihnen kann er nur noch beim Sterben begleiten, aber wie er das macht, sichert ihm sofort die Führungsrolle in der Gruppe. Er sagt, was getan werden muss: ein Feuer machen, was zum Essen suchen. Am Abend greift ihn unweit des Lagerfeuers ein Wolf an. Die anderen Männer eilen zu Hilfe, aber was der am Bein verletzte Ottway ihnen erklärt, macht allen noch mehr Angst: Die Wölfe verteidigen ihr Revier und fressen Menschen. Wenn die Gruppe sich in den Wald am Horizont zurückzieht, dann lassen die Tiere vielleicht von ihr ab.

Der Überlebenskampf der Gruppe in der arktischen Wildnis wird von Regisseur Joe Carnahan inszeniert wie eine Abhandlung über das Sterben. Der erste Todfeind sind die Wölfe, die stets wie aus dem Nichts auftauchen. Die Modelle mit dem zerzausten Fell, kombiniert mit Computereffekten, mögen zwar nicht die größte Stärke des Films sein, aber wenn im Dunkel der Nacht Augenpaare leuchten und wieder verschwinden, das Heulen anschwillt und jäh abbricht, dann erscheint die Lage der Männer, die weder Schusswaffen haben, noch Telefone, um Hilfe herbeizurufen, ziemlich prekär. Die wackelige Handkamera und schnelle Schnitte liefern chaotische Bilder wie aus Actionfilmen, wenn die Wölfe angreifen.

Der zweite Todfeind ist die eisige Landschaft, ohne Wegweiser, von Stürmen und früher Dunkelheit heimgesucht. Sparsam, aber effektiv von schrägen Klängen begleitet, wirken die grauweißen Berge, das offene Land und der Wald auf bedrohliche Weise indifferent. Es dauert lange, bis die Natur ihre ganze Schönheit offenbart, an einer Stelle am Fluss, deren Aussicht wie geschaffen für ein Picknick erscheint. Das Panorama hilft aber nicht gegen Schwäche, Verletzung, Resignation. Ottway, der anfangs lebensmüde Jäger, drängt mit eisernem Willen vorwärts. Ohne große Gesten und mit düsterer, wissender Miene, verweigert er dem Drama minimalistisch die Emotionen. Das tut der Film auf eigenartige Weise insgesamt, denn im Vergleich zur kruden Szenerie vernachlässigt er die Seelenpein eher. Wenn die Männer über ihre Kinder, ihren Glauben, ihre letzten Wünsche reden und dabei auch lachen, ist vom Fatalismus einer Horrorgeschichte nicht viel zu spüren.

Alles wird antagonistisch gebremst und in die Spur gezwungen, die Revolte des Zynikers Diaz (Frank Grillo), das Mitgefühl, die Angst vor dem Tod. Über 100 Jahre nach Jack Londons Romanen aus dem hohen amerikanischen Norden, Ruf der Wildnis und Wolfsblut, ist in diesem Film, der auf der Kurzgeschichte Ghost Walkers von Ian Mackenzie Jeffers basiert, das Abenteuer von romantischer Hoffnung getrennt, das wilde Tier nicht mehr der potenzielle Freund des Menschen. Aber der Film kann dennoch nicht auf Stilisierung verzichten, indem er, und das ist vielleicht sein größtes Manko, den Wolf einmal mehr zur Bestie erklärt.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-grey-unter-woelfen-2011