The Deep Blue Sea (1999)

Wem die Liebe zustößt...

Eine Filmkritik von Lida Bach

"Liebe. Das ist alles", erwidert Hester Collyer auf die Frage ihres Mannes, was ihr zugestoßen sei. Doch darin irrt die in ihrer Ehe erstickende Gattin, die der privilegierten Sicherheit an der Seite von Sir William Collyer (Simon Russell Beale) eine Affäre gegen alle Konventionen vorzieht. Liebe ist nicht Hester zugestoßen, sondern Freddie Page (Tom Hiddleston), dessen Leidenschaft die Hauptfigur von Terence Davies Charakterstudie ansteckt. Für den ehemaligen Kampfpiloten Freddie verlässt Hester ihren Mann William und tauscht ihr nobles Heim gegen ein schäbiges Apartment. Dort empfängt die zerrissene Protagonistin die Zuschauer, die auch Zuhörer ihres inneren Monologs sind, mit dem Satz: "Dieses Mal will ich wirklich sterben."

Die Formulierung, welche die Absolutheit ihres Entschlusses versichern soll, verweist unterschwellig auf ihre Unentschiedenheit. In der Zeitbetonung der Gegenwart - "dieses Mal" - verraten sich vage frühere Selbstmordabsichten, die nicht zielgerichtet sind, sondern mehr Gedankenspiele: der morbide Zeitvertreib einer Frau, die in bürgerlicher Prüderie ertrinkt und sich aus der Seichtheit gesellschaftlicher Konventionen in Leidenschaft flüchtet. Diese Leidenschaft gipfelt mal in harschen Wortgefechten, mal in körperlichem Lustrausch. Der Liebesstrudel, der Hester und ihren Geliebten fortreißt, ist kaum weniger schmerzhaft als die Monotonie, in der Hester zuvor lebte. Das Bild eines abgründigen Ozeans, das der Titel heraufbeschwört, wird zum Sinnbild für die sexuelle Windstille und Depression, die Hester vor der Liaison plagten. Die Gefahr geht in Terence Davies bittersüßer Elegie davon aus, sich in Emotionen treibenzulassen oder darin zu versinken. Der Filmtitel The Deep Blue Sea kann sich ebenso auf Hesters trübsinnige Ehe wie auf die heftige Affäre beziehen, in denen sie Verlassenheit und Hingabe gleichermaßen extrem fühlt.

Wenn die von Rachel Weisz verkörperte Hauptfigur mit brennender Zigarette im Halbdunkel der Szenerie steht, scheint der ausgeatmete Qualm ein bildlicher Ausdruck des in ihr schwelenden Verlangens. Dessen Aufflackern trifft Hester genauso unvorbereitet wie sein plötzliches Verglühen auf Seiten Freddies. Die Unbeständigkeit, die eine Affäre von einer Paarroutine wie der Hesters und Williams abhebt, wird zum Verhängnis des illegitimen Liebespaares. Davies öffnet räumlich das gleichnamige Kammerspiel Terence Rattigans, auf dem das Drehbuch basiert, und macht das dialogreiche Werk des Theaterautors zugänglicher, aber auch verschlüsselter. Schauspieler und Regisseur machen die Handlung zu einem emotionalen Labyrinth. Die sich darin vor Hester öffnenden Fluchten entpuppen sich als Irrwege, die sie immer wieder zu den gleichen Seelenzuständen zurückführen.

Mit Rattigan, dem Vorgänger der wütenden jungen Männer der britischen Bühnenszene, teilt Regisseur Davies neben dem Vornamen eine skeptische Nostalgie und den Realitätssinn. Klischees wie die oft beliebige Schönheit alter Songs und ausgetragener Moden umschifft die Inszenierung mit gesellschafts- und selbstkritischer Distanz. Das nuancierte Liebesdrama, das zum fünfzigsten Jubiläum des Theaterwerks und zum hundertsten des Autors anläuft, ist auch auf dramatischer Ebene eine Hommage an die Vorlage. Deren Ruf eines Problemstücks beleben in den Plot gewobene Verweise auf die gesellschaftlichen Probleme der damaligen Zeit. Kein noch so persönlicher Bereich des Daseins bleibt frei von Moralgeboten, wie sie Collyers Mutter (Barbara Jefford) postuliert. Vor Leidenschaft solle sie sich hüten, warnt die Gesellschaftsdame, die in jeder Geste ihre Abneigung gegen die Schwiegertochter ausdrückt: "Sie führt immer zu etwas Hässlichem."

Die Alternative zu solcher Unschicklichkeit sei ein "umsichtiger Enthusiasmus". Gerade solch eine Scheinbegeisterung könnte es aber gewesen sein, was Hester in ihr frustrierendes Eheleben manövrierte. Dieser Falle entkommen zu sein, ist ihr Triumph in der ungewissen Umarmung Freddies. Er spricht schließlich den einzigen Trost des Dramas aus: "Es ist nie zu spät, um noch einmal von vorn zu beginnen, nicht wahr?"
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-deep-blue-sea-1999