Kama Sutra – Die Kunst der Liebe

Freitag, 18. November 2011, 3sat, 22:25 Uhr

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Das indische Kamasutra, dessen Entstehung auf ungefähr 200 bis 300 Jahre nach christlicher Zeitrechnung datiert wird, gilt als das Werk über erotische Liebe innerhalb der Weltliteratur schlechthin, das sich in aller Ausführlichkeit auch mit den pragmatischen Aspekten dieses Territoriums befasst. Die indische Filmemacherin Mira Nair (Salaam Bombay!, 1988, Monsoon Wedding, 2001, The Namesake, 2006) hat diesen Titel für ihr wildes Liebesdrama um heftige Emotionen, Begierden und Eifersüchte aus dem Jahre 1996 adaptiert, das für die beste Kamera von Declan Quinn mit dem Independent Spirit Award ausgezeichnet wurde.
Indien im 16. Jahrhundert: Da wachsen zwei Mädchen gemeinsam an einem Fürstenhof heran, deren Stellung nicht unterschiedlicher sein könnte. Die Waise Maya (Indira Varma) lebt als Dienerin und Vertraute der verwöhnten und missgünstigen Prinzessin Tara (Sarita Choundhury) dort, die sie an Liebreiz übertrifft und deren gebrauchte Kleider sie tragen darf. Tara ist als Braut für den Prinzen Raj (Naveen Andrews) auserwählt, doch dieser ist nur allzu sehr von Maya angetan, die ihn aus Rache für Taras Verächtlichkeit ihr gegenüber vor der Hochzeit verführt. Die Verbindung von Tara und Raj gerät zu einer Enttäuschung für beide, und Maya wird vom Hof verbannt. Die schöne und begabte junge Frau wird fortan die Geliebte des charismatischen Künstlers Jai (Ramon Tikaram) und erhält fachkundige Unterweisungen in den Filigranitäten der Erotik. Nachdem sie als Kurtisane an den Hof zurückkehrt, fordert Raj nunmehr als Herrscher ihre Liebeskunst ein, was Schmerz und Verhängnis über alle Beteiligten bringt...

Ein visuell und emotional explosiver, sinnenfreudiger Film ist Mira Nair mit Kama Sutra gelungen, der an Originalschauplätzen in Indien inszeniert wurde. Hier wird das Verhältnis von Liebe und Macht sowie von Loyalität und Verrat auf eindringliche Weise zugespitzt, wobei reichlich Raum für das Erleben intensiver Sinneslust geschaffen wird, mit oder ohne tiefe Empfindungen. Die Strategien der Liebe in all ihren Facetten obliegen hier den starken Frauenfiguren, während die männlichen Protagonisten letztlich daran scheitern. Dass der Film seinerzeit in Indien und anderswo recht kritisch rezipiert wurde, liegt nicht nur an seinem hohen erotischen Faktor, sondern sicherlich auch an seiner unüblichen Art, mit den Geschlechterrollen zu jonglieren, was allerdings innerhalb der ebenso spielerischen wie tragischen Dramaturgie äußerst anregend erscheint.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/kama-sutra-die-kunst-der-liebe