Die Lady von Shanghai

Montag, 16. Januar 2012, ARTE, 20:15 Uhr

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Der legendäre US-amerikanische Schauspieler und Filmemacher Orson Welles (1915-1985) war eine ebenso radikale wie streitbare Person, deren avantgardistische Werke oftmals erst lange nach ihrem Erscheinen entsprechend gewürdigt wurden. Auch wenn sein Spielfilmdebüt Citizen Kane aus dem Jahre 1941 als Paradebeispiel dafür gilt, trifft diese frühe Verkennung der künstlerisch äußerst anspruchsvollen Filme dieses außergewöhnlichen Talents auch auf Die Lady von Shanghai von 1947 zu, der erst in einer erheblich überarbeiteten und derb zusammengeschnittenen Fassung dem damals wenig begeisterten Publikum präsentiert wurde. Dass der Film an den Kinokassen ein Misserfolg war, verwundert kaum, und doch weist diese von Orson Welles seinerzeit abgelehnte Modifizierung seines ursprünglichen Stoffes für einen Film Noir nach dem Roman If I Die Before I Wake von Sherwood King dennoch eine künstlerische Qualität auf, die ihn auch heute noch sehenswert macht.
Als die mondäne Elsa Bannister (Rita Hayworth), Gattin des einflussreichen und wohlhabenden Anwalts Arthur Bannister (Everett Sloane), eines Abends einen Ausflug durch den New Yorker Central Park unternimmt, begegnet sie dort dem irischen Seemann Michael O’Hara (Orson Welles), der sie vor einem Überfall dreister Diebe rettet. Dieses Zusammentreffen verändert das gesamte Leben des Matrosen, der bald darauf als Skipper auf der Segelyacht der Bannisters zum Einsatz kommt. Während des Trips von New York nach San Francisco entspinnt sich eine heimliche Affäre zwischen Elsa und Michael, der von der kühlen Schönen fasziniert ist. Als der Jurist George Grisby (Glenn Anders), ein Geschäftspartner Arthur Bannisters, unterwegs an Bord kommt, will er den verunsicherten Michael davon überzeugen, für 5000 Dollar an einem Versicherungsbetrug mitzuwirken, allerdings soll er sich dafür als Mörder von Grisby ausgeben, während dieser in Wirklichkeit untertaucht. Das Verhängnis für Michael bahnt sich an, als Grisby tatsächlich ermordet wird, und ausgerechnet Arthur Bannister, der viel mehr weiß, als es den Anschein hatte, übernimmt die Verteidigung ...

Einen bildgewaltigen, in jeder Hinsicht wahrhaft düsteren Film Noir stellt Die Lady von Shanghai dar, dessen Entstehungsgeschichte von Klatsch und Mythen um die beiden Hauptdarsteller Rita Hayworth und Orson Welles umwoben ist, die damals noch miteinander verheiratet waren, während ihre Beziehung wahrscheinlich bereits stark kriselte. War sie sonst ein Sonnenschein Hollywoods, ließ Orson Welles sie hier als bösartige Intrigantin auftreten, die Rita Hayworth allerdings gekonnt verkörperte, was weder den Produzenten des Films noch dem Publikum gefiel. Trotz aller Unwegsamkeiten bis zur Fertigstellung dieses Films, den im Grunde weder Orson Welles noch andere Beteiligte in dieser Form gewünscht hatten, ist daraus ein bemerkenswert eindrucksvolles und filmhistorisch bedeutendes Werk geworden, dessen berühmt-berüchtigte Spiegelkabinett-Sequenz ein grandioses Zeugnis darüber ablegt, wie virtuos dieser ungefällige Regisseur nicht zuletzt mit den technischen Mitteln seiner Filmkunst umzugehen verstand.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-lady-von-shanghai