Glücksritterinnen

Auf der Suche nach dem eigenen Weg im Leben

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Gerade 17 Jahre alt war die Regisseurin Katja Fedulova, als sie im Jahr 1993 mitten in Sankt Petersburg von Männern in einem schwarzen Wagen überfallen wurde. Stunden später erwachte die junge Frau auf dem Bürgersteig, von blauen Flecken übersät, während die Passanten achtlos an ihr vorübergingen. Dies war der Auslöser für den Entschluss von Katjas Mutter, dass ihre Tochter ihr Glück in Deutschland versuchen solle. Katja bewarb sich für einen Platz an der Kunsthochschule in Kiel, bekam ihn und wagte den Sprung ins kalte Wasser. Während des Studiums in Deutschland traf Katja Fedulova dann andere Frauen aus Russland, die ein ähnliches Schicksal erfahren hatten. 17 Jahre ist es nun her, dass die insgesamt sechs Frauen den Schritt unternahmen, ihre unsichere Heimat hinter sich zu lassen und sich in Deutschland eine neue Existenz aufzubauen. In ihrem Film Glücksritterinnen zeichnet Katja Fedulova ihren eigenen Lebensweg und den ihrer Freundinnen nach und untersucht, was von den Träumen, Erwartungen und Hoffnungen übrig geblieben ist.
Dabei kommt der Film zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen: Während Zhenja beispielsweise inzwischen wieder nach Russland zurückgekehrt ist und dort dem Hedonismus der "nouveau riches" frönt, lebt Ilona immer noch in Deutschland, ist aber von ihrem Job als Lehrerin frustriert und träumt stattdessen von ganz anderen Herausforderungen. Oder die alleinerziehende Tatjana, die stets eine Sonnenbrille trägt, da ihre Familie in Russland von der Mafia bedroht wird: Sie gibt den Druck, den sie selbst früher als Kind erfahren hat, an ihre eigene Tochter weiter – und zwar mit dem gleichen Argument, das sie früher schon zu hören bekam – sie solle es später einmal besser haben. Eines aber ist all den Frauen auch heute noch anzumerken: Bei allem, was sie tun, sind es vor allem und immer wieder die Mütter und deren Erwartungen, denen sie gerecht werden wollen.

Hinter der Anspruchshaltung kommt in den Gesprächen vieles zur Sprache, das sich dem westlichen Zuschauer als Zusammenhang erst mit der Zeit erschließt: das autoritäre System, dessen rigide Prinzipien bis in die Familie hineinreichten, die Verunsicherung, als die Sowjetunion zusammenbrach und plötzlich (wenn überhaupt) völlig neue Werte galten – dies alles und noch einiges mehr kann man aus diesen Lebenswegen herauslesen. Und genau das macht Katja Fedulovas Film auch zu einer bemerkenswerten Dokumentation, die trotz einiger Längen und Redundanzen einiges erhellt und gerade rückt, was man bisher allenfalls als Klischee und Vorurteil im Sinn hatte.

Glücksritterinnen ist ein Film, der nach einigen Startschwierigkeiten zunehmend fesselt, weil man bemerkt, dass es hierbei nicht nur um sechs Lebenswege geht, die wenig Berührungspunkte mit unserer eigenen Welt und unserem eigenen Leben haben. Vielmehr geht es auch darum, wie selbstbestimmt das Leben sein kann, wie sehr wir manche Dinge vor allem deshalb tun, um den Ansprüchen der Menschen um uns herum und vor allem jenen seitens der Eltern, die ja immer nur "das Beste für ihr Kind wollen", zu genügen. Und das ist nun wahrlich kein spezifisches Problem von jungen Russinnen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/gluecksritterinnen