Was weg is, is weg

Bauerntheater im Kleinformat

Eine Filmkritik von Florian Koch

Man kann über die Bayern sagen was man will, aber ihre Hartnäckigkeit und ihr Ehrgeiz machen sich auch im deutschen Kinobetrieb bemerkbar. Kein Dialekt wird in einheimischen Filmen häufiger gepflegt, als der mit dem rollenden R. Und das hat gar nicht mal soviel mit den Erfolgen von Michael "Bully" Herbig (Der Schuh des Manitu) zu tun. Denn für die wieder erstarkte Popularität des bayerischen Zungenschlags und auch der Lebensart sind besonders zwei engagierte Filmschaffende zu nennen, Regisseur Marcus H. Rosenmüller und sein Dauer-Drehbuchautor Christian Lerch. Während "Rosi" in seinem Schaffensdrang manchmal auch über das Ziel hinausschießt und zuletzt einen herben Misserfolg wie Sommer der Gaukler einstecken musste, wagt sich Lerch mit dem überdrehten, reichlich naiven Road Movie Was weg is, is weg jetzt selbst an sein Regiedebüt. Ob er damit auch einen solchen überregionalen Hit wie Markus Gollers Eine ganz heiße Nummer landen kann, bleibt abzuwarten.
Lange ruht das Auge der Kamera auf einem schönen alten Bauernhof in Niederbayern. Nicht ganz so friedlich gehen aber die dort wohnenden Menschen miteinander um. Über das Für- und Wider von Kunstdünger bekommen sich Onkel Sepp (Johann Schuler) und Johann Baumgarten (Hein-Josef Braun) mal wieder in die Haare. Wer Recht hat, spielt aber bald keine Rolle mehr, denn bei einem Experiment zur Energiegewinnung kommt es zu einem Kurzschluss, und Hobbyerfinder Sepp ist am Ende der Leidtragende. Er stürzt von der Leiter, und bleibt vor den Augen von Johanns Kindern Lukas, Hansi und Paul bewusstlos liegen.

Die Geschichte macht einen Zeitsprung ins Jahr 1986, aber soviel hat sich in den 18 Jahren auch nicht getan. Der Bauernhof wirkt nahezu unverändert, genauso wie der Zustand von Sepp. Der Kommapatient wird von seiner Schwester und Johanns Frau Erika (Johanna Bittenbinder) liebevoll gepflegt, ihre Kids sind bereits ausgeflogen.

So richtig weit sind sie im Leben aber nicht gekommen. Der großspurige Möchtegern-Geschäftsmann Hansi (Maximilian Brückner) laviert sich als potentieller Versicherungsbetrüger durchs Leben, während das zurückgebliebene Riesenbaby Paul (Mathias Kellner) die Nähe zu Gott sucht. Nur der Öko-Freigeist Lukas (Florian Brückner) scheint sich endlich freischwimmen zu können, er will für ein Jahr auf einem Greenpeace-Schiff anheuern. Durch eine Verkettung verschiedener Zufälle, darunter die Suche nach dem verlorenen Arm des Metzgers Much (Jürgen Tonkel) und die Begegnung mit der Partymaus Luisa (Marie Leuenberger), wird Lukas die Landflucht aber noch ein wenig aufschieben.

Christian Lerch ging für sein abenteuerliches Road-Movie Was weg is, is weg wohl frei nach dem Motto vor: "Viel hilft viel". Ständig überstürzen sich die Ereignisse, stapeln sich Nebenplots der unzähligen skurrilen Figuren und türmen sich neue Probleme in der Dramaturgie auf. Geradezu banal verhält sich dagegen die Aussage seiner Geschichte. Die entfremdete Familie soll sich doch gefälligst wieder zusammenraufen, und Lukas von der Magie der bayerischen Idylle überzeugt werden. Der "Dahoam is dahoam"-Leitgedanke wurde in ganz ähnlicher Form auch schon von Rosenmüller in Beste Gegend und Beste Zeit formuliert. Diese fragwürdige, unreflektierte Heimattümelei findet in Was weg is, is weg nun ihren unrühmlichen Höhepunkt. Denn Lerch inszeniert Lukas nicht nur als seine (einzig) sympathische Hauptfigur, auch seine Abwanderungsbestrebungen sollen im Laufe der Handlung aus unverständlichen Gründen immer weiter ausgeräumt werden. Dabei ist und bleibt sein Vater eine tumbe, reaktionäre Couch Potatoe, die sich immer noch vor den russischen Invasoren fürchtet; der aufgedunsene, aber liebevolle Paul ist mit seinen Ausreißer-Versuchen eigentlich ein Fall für eine stationäre Behandlung und Hansi mit seinem gelben Anzug, dem roten BMW, dem Angeber-Riesenhandy und der Vokuhila-Frisur ein wandelndes 80er-Jahre Klischee. So eine Familie wünscht man eigentlich niemandem, und es bleibt nicht ersichtlich, warum Lerch gegen Ende hin krampfhaft eine Harmonie zwischen den einzelnen Figuren herstellen will und die nette Greenpeace-Idee verwirft. Überhaupt soll hier einiges passend gemacht werden, was aber nicht passt.

Während die Schnitzeljagd nach dem abgetrennten Arm des Metzgers auch dank der fetzigen, bläserlastigen Musik und der engagierten, gut ausgewählten Darsteller für sich noch einen absurden Witz hat, nerven in Was weg is, is weg immer wieder die ständigen Tempowechsel und Parallelmontagen mit ihren Nebenkriegsschauplätzen. Unerklärlich auch, was die Rolle von Luisa (Marie Leuenberger) soll. Sie wird von Lerch eingeführt als übrig gebliebener Partygast, der aber anscheinend nicht besonders viel zu tun hat. Und deswegen klebt sie einfach bis zum Schluss an Love-Interest Lukas. Wer sie eigentlich ist, woher sie kommt und was sie auszeichnet, das erfährt man nie. Viel erfahren soll der Zuschauer über die Stimmung der 80er Jahre. Aber die Öko- und Anti-Atombewegung wird lediglich kurz angerissen, die Zeit bleibt, so wie das Auftreten von Hansi eine Folie für eine vordergründige Ansammlung von Klischees aus der 99 Luftballons-Mottenkiste.

Auch wenn man diese anspruchslose Posse auf unterem Bauerntheater-Niveau noch als alberne Fingerübung goutieren kann, so darf nicht verschwiegen werden, wie mäßig Was weg is, is weg handwerklich umgesetzt wurde. Der Schnitt wirkt holprig, die Montage ungelenk, die Effekte stümperhaft (die Wunde und das daraus unregelmäßig austretende Blut bei Much könnten aus einem Amateurfilm stammen) und zu allem Überfluss können nicht einmal die Landschaftsbilder überzeugen. Beschämender Höhepunkt ist eine Szene, als Lukas dem Stadtkind Luisa auf einem Hochspannungsmast die "schöne" bayerische Umgebung zeigen will. Die Totale enthüllt allerdings keinen Traumblick, sondern ein mit Stromnetzen verschandeltes und stark zersiedeltes Stück Niederbayern, das eher Tristesse als Begeisterung erzeugt. Wäre die Szene ironisch inszeniert gewesen, könnte man Lerch immerhin einen giftigen Kommentar zu dem Thema "Landschaftsverschandelung" unterstellen. Aber von wegen. Lerch bleibt auch hier lieber seinem filmischen Ziehvater Rosenmüller treu, und inszeniert Was weg is, is weg konsequent als simple Ode an die Sogkraft der bayerischen Heimat. Vielleicht wäre der holprig inszenierte Film mit dieser Aussage besser im Fernsehen beim BR als im Kino aufgehoben gewesen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/was-weg-is-is-weg