Words of Witness (2012)

The revolution will be televised

Eine Filmkritik von Lida Bach

"Ich denke, wir wussten nicht wirklich, was Demokratie bedeutet", sagt Heba Afify. "Aber das durch den Mangel an Demokratie verursachte Leid spürt man selbst dann, wenn man nicht weiß, was es bedeutet." Dieses Leid kennt die junge Journalistin aus eigener Erfahrung. Sie ist eine der Stimmen, deren Aufschrei Mai Iskanders dynamisches Zeitbild in der Anfangssequenz in weißen Lettern in das Schwarz der Leinwand eingeschrieben wird: Words of Witness, deren Botschaft das knappe und intensive Werk im Berlinale Panorama weiterträgt.

Nachdem im Kielwasser der ägyptischen Revolution das Verlangen nach Meinungs- und Pressefreiheit wie eine Welle über das von der Diktatur gedrückte Land hinweggegangen ist, schreibt sie unter gänzlich veränderten Voraussetzungen für die englische Edition der arabischen Zeitung Almasy Alyoum. Beim Sturz Hosni Mubaraks durch über Facebook und Twitter organisierte Protestveranstaltungen war die 22-Jährige nicht nur als Reporterin präsent, sie war bei ihren Gesinnungsgenossen als Demonstrantin auf der Straße. Es seien nun ihre Straßen, sagt eine junge Ägypterin auf einer Kundgebung zu Heba. Früher habe sie sich nie um ihr Land geschert, nun aber herrsche das Gefühl von Ermächtigung, von Zugehörigkeit und Freiheit. Eine Freiheit, der die Protagonistin, deren Weg durch die immer noch in Aufruhr liegende Hauptstadt die in den USA geborene Regisseurin in ihrer organischen Gegenwartsaufnahme begleitet. "Mein ganzes Leben lang habe ich von Ungerechtigkeit gehört", berichtet Heba. "Ist dies, wie sich die Dinge verändern werden? Wie wir auf die Demokratie zusteuern?"

Immer noch sind Tausende Demonstranten verschwunden, die bei Kundgebungen verhaftet und zusammengeschlagen wurden. "Man kann nichts tun, außer die Weltöffentlichkeit davon wissen zu lassen", erklärt sie aus dem Off der Handy-Videos und Handkamera-Aufnahmen, mit denen die Regisseurin die angespannte Atmosphäre vor Ort hautnah transportiert. "Bist du verrückt? Um diese Zeit bist du noch auf der Straße unterwegs?", schimpft ihre Mutter am Handy zu Heba, die sie nur ungern ihrer Arbeit nachgehen sieht. "Du bist keine Journalistin, du bist ein Mädchen", das sei der eigentliche Hintergedanke, sagt die junge Frau, die nicht nur auf der Suche nach Informationen vor verschlossenen Türen steht. Manchmal ist es die Tür zur eigenen Wohnung, aus der ihre Mutter sie versehentlich ausgesperrt hat. Drinnen wartet der Laptop darauf, dass Heba ihre Deadline einhält.

Ein sehr gutes Leben habe ihre Familie geführt. Aber was ist ein gutes Leben wert, wenn jeden Moment jemand an die Tür klopfen und einen aus der Familie herausreißen kann, wenn man ein falsches Wort sagt, um einen wegzubringen? Wie die Gefangenen, welche die entschlossene Hauptfigur und andere Demonstranten im Staatssicherheitszentrum vermuten. Anstelle von Häftlingen finden sie Akten, bergeweise. Die Abhörberichte und Verhörprotokolle sind so eklatant, dass eine Kollegin Hebas beinahe an Fälschungen glaubt. Doch dass Menschen und ihre Rechte mit Füßen getreten werden, ist in dem im Umbruch befindlichen Staat noch lange kein Relikt der Vergangenheit, wie die schockierenden Aufnahmen des berüchtigten "Blue Bra"-Videos beweisen, auf dem Soldaten eine am Boden liegende Demonstrantin treten und bis auf die Unterwäsche entkleiden.

Jemand sei dort draußen getötet worden und niemand habe ihn auch nur beachtet, warnt Hebas Mutter, die für ihre Tochter ein ähnliches Schicksal fürchtet. Doch die Leute sehen Heba. Die Welt sieht sie und ihre Mitstreiter auf den Bildern der friedlichen Revolution über öffentliche Netzwerke. Die einzige Angst, die bleibt, ist die, dass sie – wie sie es schon so oft im Angesicht von Gewalt und Unrecht getan hat – die Augen davor verschließt.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/words-of-witness-2012