Die Wahrheit der Lüge

Im tiefen Keller

Eine Filmkritik von Paul Collmar

Dass in den Kellergewölben das wahre Grauen lauert, davon erzählen unzählige Horrorfilme und auch so mancher Film, bei dem das Gruseln und die Furcht nicht den Ausgeburten der Fantasie des Filmemachers entspringt, sondern der Erinnerung an reale Ereignisse. Markus Schleinzers Missbrauchsdrama Michael beispielsweise hat diesen Horror des Realen, der dem Untergeschoss entsteigt, bravourös auf den Punkt gebracht. Auch Roland Rebers neuer Film Die Wahrheit der Lüge handelt vor allem im Tiefgeschoss – und dies ist durchaus nicht nur als Anspielung auf den Handlungsort zu verstehen, sondern auch als Aussage über das Niveau der verquasten und unterirdischen Parabel.
Dass Schriftsteller mit erlahmender Schaffenskraft manchmal auf merkwürdige Ideen kommen, um die kreative Impotenz wieder in den Griff zu bekommen, ist nichts Neues – weder im Leben noch im Kino, wie Koen Mortier vor einigen Jahren in seinem brachialen Film Ex Drummer zeigte. Während es dort vor allem um Inspirationen ging, betreiben die beiden Hauptakteure in Die Wahrheit der Lüge, der Autor (Christoph Baumann) und seine Verlegerin (Antje Nikola Möhring) eine Motivforschung der ganz anderen Art. Mittels eines Vertrages haben sich die beiden zwei Frauen (Marina Anna Eich und Julia Jaschke) gesichert, die sie nun in ausufernden Foltersitzungen an eine niemals näher benannte Grenze oder auf einen Gipfel bringen wollen. Wozu das Ganze dann aber führen soll, welcher Erkenntnisgewinn sich aus dem niemals genau ausformulierten Ziel verbirgt – das freilich bleibt ebenso im Dunkeln wie ein Großteil der Szenerie. Vermutlich geht es bei dem Buch um Grenzerfahrungen, doch warum der Autor diese partout nicht selbst erleben/erleiden will, sondern sich bei seinen Recherchen auf reine Beobachtungen verlassen will, wirft auf den Charakter des Dichters und Henkers kein allzu gutes Licht. Überhaupt verheddert sich der Schreiberling derart schnell in den Fallstricken seines Konstruktes, dass er auch sonst keine allzu große Geistesleuchte zu sein scheint.

Blöd auch, dass die beiden Gefangenen sich nicht so ohne Weiteres an die Grenze befördern lassen wollen, denn sie wissen dank des Vertrages genau, dass ihre Zeit im Folterkeller nur eine begrenzte ist – sofern man den beiden Intellektuellen überhaupt trauen kann. Weil die rüden Methoden nicht die gewünschten Ergebnisse bringen, beginnt die durchtriebene Verlegerin bald damit, das Spiel nach ihren Regeln umzuformen – mit einem nicht wirklich überraschenden Ende...

Es gehe ihm nicht um die reale Darstellung der Situation, sondern vielmehr darum, eine Metapher auf die Gefangenschaft namens Leben zu finden, so Roland Reber im Presseheft des Films. Ehrlich gesagt hat man diesen Verdacht von Anfang an, zumal den Handelnden und Misshandelten nicht einmal Namen zugestanden werden. Allerdings stellt sich die Frage, ob dieses Befördern auf eine Metaebene dem Film wirklich hilft. Denn wenn bereits die primäre Handlungsebene so ächzt und stöhnt wie hier, tut dies der anvisierten Metaphorik nicht unbedingt gut.

Bald schon fragt man sich, wer hier eigentlich die größere Folter erleiden muss – die beiden Frauen oder der gepeinigte Zuschauer. Gewollter Tiefsinn und kaum erträglicher Flachsinn gehen hier Hand in Hand und formen sich zu einem unentschiedenen Kaleidoskop, bei dem offensichtlich die Hoffnung gehegt wird, der Zuschauer möge sich aus den vielen Brocken und Bruchstücken doch gefälligst selbst einen Sinn, eine Botschaft oder besser noch eine Lehre basteln. Erleichtert wird das Durchhalten immerhin durch reichlich nackte Haut und sonstige Utensilien, die dem Film immerhin eine treue Gefolgschaft aus der Fetisch- und SM-Szene sichern dürften.

Beim Publikumsgespräch in Hof, wo der Film seine Premiere feierte, gab der durchaus sympathische Filmemacher Roland Reber zu Protokoll, dass er selbst seine Filme oftmals erst nach zwei bis drei Jahren verstehe. Ehrlich gesagt merkt man das seinen Werken und insbesondere dem neuesten Streich auch an. Nur mag man diese Lebenszeit dann doch auf nützlichere Weise verbringen als mit dem Nachsinnen über einen Film, der bei näherer Betrachtung außer Kopfschütteln und einem verwunderten Staunen über so viel Unausgegorenes und Pseudophilosophisches kaum Nachwirkungen zeitigt. Außer dem Wunsch, das Gesehene schnellstmöglich wieder zu vergessen.

Immerhin – und das muss man Rebers neuem Film attestieren – hat sich die technische Seite, insbesondere die Kamera- und Schnitttechnik und der Einsatz der Musik deutlich zum Besseren gewandelt, ist (wenn man so will) filmischer geworden und erinnert nicht mehr permanent an (schlecht) abgefilmtes Theater. Das alleine aber macht noch lange keinen guten Film aus. Denn inhaltlich und teilweise auch darstellerisch bewegt sich Die Wahrheit der Lüge wie zuvor bereits 24/7 – The Passion of Life oder Engel mit schmutzigen Flügeln im Niemandsland zwischen juvenilem Selbstfindungstrip, explizitem SM-/Psycho-Drama, unfreiwilliger Komödie und purem Midnight-Trash.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-wahrheit-der-luege