Italy: Love It or Leave It

Italien auf dem Prüfstand

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Hat George Clooney auch einen Espressokocher von Bialetti? Gustav Hofer und Luca Ragazzi haben ihm zumindest einen vor die Tür gestellt, damit er – neben der Konkurrenz von Nespresso – auch den traditionell zubereiteten italienischen Kaffee genießen kann. Dies dokumentiert das Filmemacher-Duo im Film Italy: Love It or Leave It ebenso wie andere Erlebnisse, Entdeckungen und Erkenntnisse während ihrer Reise durch Italien. Die vielfach preisgekrönte Dokumentation ist eine Untersuchung des zeitgenössischen Italiens; sie versucht, den Status Quo der italienischen Gesellschaft zu ergründen und zu erörtern, ob man es heute noch verantworten kann, in Italien zu leben, oder eben nicht.
Ausgangspunkt der sechsmonatigen "italienischen Reise" von Gustav und Luca ist der bevorstehende Auszug aus ihrer gemeinsamen Wohnung in Rom und die Frage, ob sie sich eine neue Bleibe in Italien suchen oder nicht doch lieber nach Berlin auswandern sollen – schließlich emigrieren jährlich 40.000 Menschen aus Italien. Und diese Lawine an Emigranten hätten nicht ganz unrecht, meint Gustav, der sich immer häufiger fragt, wie man in einer Gesellschaft wie der italienischen noch leben kann, in der – so der Regisseur im ARTE-Interview – "tagtäglich Schlimmes" passiere.

Luca jedoch ist nach wie vor geprägt von einer großen Italien- und damit Heimatliebe, und er möchte Gustav zeigen, dass es in Italien auch immer noch "vernünftige" Menschen und überhaupt viele Gründe gibt, um nicht ans Auswandern zu denken: die beste Pizza der Welt, das italienische Essen überhaupt, Dante und Sophia Loren, aber auch die Menschen, die sich für „ein besseres Italien“ einsetzen. An einem Morgen setzen sich Gustav und Luca in einen alten Fiat 500 und fahren los, den Stiefel Italiens hinunter und wieder hinauf, um die Pro- und Contra-Argumente für ein Leben in Italien aufzulisten.

Dies tun sie in einer filmisch eindrucksvollen Weise. Italy: Love It or Leave Itist ein unterhaltsames und stimmiges Patchwork aus Dokumentarischem, Trickfilmsequenzen und found footage, also altem Filmmaterial, darunter Archivaufnahmen, Unternehmens- und Amateurfilmen. Begleitet werden die Bilder von schwungvoller Musik, welche die teilweise erschreckenden Aussagen, die der Film über das Land, von dem so viele Menschen träumen, macht, zwar nicht abschwächt, aber sie eben doch in einem anderen Licht erscheinen lässt. Da ist viel Selbstironie mit im Spiel, viel von der im Film beschworenen Leichtigkeit des Seins, für die Italien ebenso berühmt sei wie für ihre politischen Schreckensmeldungen. So ernst die filmische Gegenüberstellung von den negativen und den positiven Seiten des Landes ist, so heiter und versöhnlich stimmend ist ihre Umsetzung.

Viele der kontroversen Themen, die um Italien kreisen, greifen die Macher von Italy: Love It or Leave It auf und beleuchten sie von verschiedenen Seiten: die Entlassungen von Fiat und Bialetti, Italiens Fernsehwelt, die Machenschaften der Mafia, der Müllhandel in und um Neapel, die Bauspekulationen und natürlich Berlusconi, der zu Drehzeiten noch im Amt war. Gustav und Luca besuchen Wahlveranstaltungen und singen die Silvio-Hymne mit, sprechen mit Anhängern und lassen sich von Berlusconi-Fans beschimpfen. Ein großes Verdienst des Films ist, dass klar ist, auf welcher politischen Seite die Filmemacher stehen, dies aber so ausgewogen wie nur möglich tun.

Während Gustav und Luca viele der Italien-Themen im Gespräch verhandeln, sich Landschaften und Situationen anschauen und darüber diskutieren, kommen auch andere Menschen zu Wort in Italy: Love It or Leave It, so eine Fiat-Mitarbeiterin, die am Fließband steht, Schichtdienst macht und sich und ihren Sohn dennoch nicht mit ihrem Gehalt über Wasser halten kann und deswegen auf die finanzielle Unterstützung der famiglia angewiesen ist. Oder Andrea Camilleri, bekannter Romanautor und Vater der Krimi-Figur Commissario Montalbano, der ganz eindeutig sagt: Man muss in Italien bleiben, gerade dann, wenn es schlecht um das Land stehe; "dann ist es Pflicht, sich zu engagagieren und nicht aufzugeben, zu bleiben und sich für seine Ideen und Überzeugungen einzusetzen".

Man lernt viel über Italien in Italy: Love It or Leave It – egal, ob als Italien-Kenner oder als jemand, der sich noch wenig mit dem Land der blühenden Zitronen beschäftigt hat. Gut auch, dass der Film keine wirkliche Antwort auf die Frage gibt, wie man nun zu Italien stehen soll. Auch wenn Gustav und Luca sich schließlich für eine der beiden Varianten entscheiden – zu bleiben oder zu gehen –, wird deutlich, dass dies ihr Fazit, ihre Haltung ist. Der Zuschauer soll sich bitte seine eigene Meinung bilden. Und dafür haben die beiden viel an gutem Material geliefert.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/italy-love-it-or-leave-it