Ausgerechnet Sibirien

Biedermann kann auch anders

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Nein, er ist nicht Jogi Löw. Auch wenn der junge Mann, der ihn auf dem gottverlassenen Flughafen abholen soll, ein Schild mit dem Namen des Bundestrainers in Händen hält. Mit dem smarten Fußballcoach hat Matthias Bleuel, ein biederer Geschäftsreisender, eigentlich nur die Nationalität gemeinsam. Aber im tiefsten Sibirien sind wir Deutschen eben alle ein bisschen Jogi, zumindest wenn man Ralf Huettners gut gelaunter Selbstfindungskomödie glauben darf.
Ausgerechnet Sibirien braucht eigentlich nur eine Szene, um das Problem von Matthias Bleuel (Joachim Król) zu skizzieren. Da joggt der sichtlich untrainierte Lauf-Novize durch den Leverkusener Wald, mit zwei überdimensionierten Kopfhörern verzückt einem Schamanen-Roman lauschend. Zuhause angekommen, rutscht seine Laune allerdings schlagartig in den Keller. Nur weil zwei junge Männer zehn Minuten früher als verabredet vor der Tür stehen. Der leitende Mitarbeiter einer Textilfirma steckt offensichtlich in einer tiefen Krise. Und jeder sieht, warum: Wer so pingelig, verklemmt und langweilig ist, braucht sich nicht zu wundern, wenn die tanzbegeisterte Ehefrau (Katja Riemann) mit einem andern das Bein schwingt. Dass ausgerechnet Matthias Bleuel den lebensfrohen Russen ein neues Warenwirtschaftssystem verordnen soll, ist wohl nur durch die fortschreitende Wunderlichkeit des Senior-Chefs zu erklären. So kommt es, wie es kommen muss: Der Wohlstandsdeutsche trifft am Ende der Welt eine geheimnisvolle Sängerin (Yulya Men), die seine Liebe zum Schamanismus zu teilen scheint.

Komödienspezialist Ralf Huettner hat keine Scheu vor Klischees, wie man etwa bei seinem zauberhaften, mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichneten Außenseiter-Roadmovie Vincent will Meer sehen konnte. Auch in seinem neuen Film wandelt er auf dem schmalen Grat zwischen leisem Humor und dem Witz auf Kosten anderer. Erneut stürzt er keineswegs ab, sondern macht sich auf zu einer Reise voller Bildwitz und gelungener Einfälle. Allerdings erreicht Ausgerechnet Sibirien nicht ganz den Charme und den Hintersinn des Vorgängers.

Dass die Verfilmung des Romans Der Neuling von Michael Ebmeyer, der gemeinsam mit Minu Barati (Ehefrau von Joschka Fischer) das Drehbuch schrieb, intelligente Unterhaltung statt Klamauk bietet, liegt nicht zuletzt an den glänzend aufgelegten Schauspielern. Bis in die Nebenrollen ist die Culture-Clash-Komödie hervorragend besetzt, überwiegend mit russischen Darstellern vom Theater in Sankt Petersburg. Sie tragen eine Menge dazu bei, dass das Bild von den ständig feiernden, Wodka trinkenden, korrupten und gewaltbereiten Gastgebern nicht zum puren Ressentiment gerät. Sondern dass die Überzeichnung auch liebenswerte Züge einer Kultur freilegt, die sich aus dem Kampf gegen ungleich härtere Lebensbedingungen speist, als man sich das im Westen vorstellen kann.

Der Besetzungscoup ist freilich der Liebesclinch zwischen Joachim Król und Yulya Men, die bereits in Der Heizer von Alexey Balabanov überzeugte, dem Gewinnerfilm 2011 des Festivals goEast. Król knüpft hier an sein Image aus den 1990er Jahren an, als er in Filmen wie Wir können auch anders oder Zugvögel – einmal nach Inari dem Typus des für eine Überraschung guten Sonderlings ein unverwechselbares Gesicht verlieh. Man muss schließlich nicht Jogi Löw sein, um Millionen zu begeistern.

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