Welcome Goodbye!

Angriff der Rollkoffer

Eine Filmkritik von Alina Impe

Sie sind überall. Meist treten sie in Gruppen auf und heften sich entweder an die Fersen eines Reiseleiters oder ziehen in Doppeldeckerbus-Karawanen quer durch die Stadt. Vereinzelt lassen sie sich auch in Fahrradrikschas durch die Gegend kutschieren. Die Berliner Touristen. Sie kommen und gehen und werden trotzdem jedes Jahr immer mehr.
Per Definition ist ein Tourist ein Mensch, der ein anderes Land bereist, um sich dort für einen festgelegten und zumeist kurzen Zeitraum aufzuhalten. Das klingt doch eigentlich gar nicht so schlimm. Der Berliner sieht das aber anders, wie die ersten Bilder von Nana A.T. Rebhans Dokumentarfilm Welcome Goodbye! zeigen. Unzählige Graffitis, Aufkleber und handgemalte Schilder im täglichen Straßenbild zeugen davon, dass Besucher scheinbar alles andere als willkommen sind: "Smash Tourism!" oder "No More Rollkoffer!" steht an Häuserwänden. Anderswo werden Passanten mit einem gelungenen Wortspiel zum "Touristen fisten" aufgefordert. Dabei gilt Tourismus doch als stärkster Indikator für die stabile Wirtschaftslage einer Stadt. Denn Tourismus bringt Geld. Geld, das das Arm-aber-sexy-Berlin gut gebrauchen kann. Woher kommt also der Hass der Hauptstädter auf ihre spendablen Gäste? Und: Wenn Berlin so besucherfeindlich geworden ist, warum sprengen die Zahlen der Übernachtungen in Hotels, Hostels und Pensionen dennoch immer wieder die Statistiken vom Vorjahr?

Die einen geben den Billigfliegern die Schuld, die anderen der Politik. Wieder andere suchen eigenständig nach Mitteln und Wegen, um selbst ein Stück von dem profitablen Touri-Kuchen zu erheischen. Christian zum Beispiel ist gebürtiger Berliner und einer der Protagonisten in Welcome Goodbye!. Mal hilft er zwei hysterisch-aufgekratzten Studentinnen aus Taiwan bei ihrem straffen Sightseeing-Programm, mal sucht er mit einem mexikanischen Filmemacher nach einer passenden Drehlocation. Dann trifft er auf ein italienisches Pärchen und lässt sich die besten Party-Hotspots der Stadt zeigen. Nachdem er im Unterhemd und mit Schwarzlichtfarbe im Gesicht eine Nacht im Brunnen 70 durchgetanzt hat, muss er selbst erkennen, dass diese Touris doch eigentlich gar nicht so übel sind. Manchmal haben sie mehr Insiderwissen über die eigene Stadt als man selbst.

Der Künstlerin Michi Hartmann wurde wiederum jenes Insiderwissen zum Verhängnis, denn ihr Wohnhaus in Prenzlauer Berg steht inzwischen als Geheimtipp in jedem Reiseführer. Mehrmals täglich kippen die Reisebusse neue Besucher in ihren Innenhof, die wenig Verständnis für die Privatsphäre der Mieter aufbringen. Schließlich sind sie doch gekommen, um einmal "das echte Berlin" anzuschauen. Damit ist jetzt Schluss, zumindest für Michi Hartmann. Die ist inzwischen weggezogen.

Auch in der Politik ist man sich nicht einig, wie und ob man dem Touriboom in Berlin überhaupt Einhalt gebieten sollte. Kreuzbergs Ex-Bürgermeister Franz Schulz spricht vom "Vernutzen" der Kieze, in die die Rollkoffer-Armeen immer weiter vordringen, seitdem die Standardsehenswürdigkeiten in Mitte ein bisschen langweilig geworden sind. Tourismus-Manager Burkhard Kieker tut sich hingegen mit dem Vorwurf der Gentrifizierung schwer, schließlich sei das in New York ja alles noch viel schlimmer und immerhin "sind wir nun mal die Hauptstadt, Donnerwetter!". Außerdem hat Fremdenhass in Berlin schließlich nichts verloren. Doch je mehr Menschen sich in den Etagenbetten der Billigabsteigen stapeln, umso mehr stapeln sich auch der Müll, der Krach und die Mietpreise. Welcome Goodbye! macht kein Geheimnis daraus, dass auf beiden Seiten der Debatte die Waagschalen mit zahlreichen Argumenten gefüllt sind. Als intelligent gemachter Dokumentarfilm reicht er die anschließende Urteilsbildung jedoch kommentarlos an den Zuschauer weiter.

Paradox bleibt trotzdem, dass die, die am meisten über die Touri-Seuche wettern, oftmals selbst nur Zugezogene sind. Man beachte: Der Übergang vom Touristen zum Berliner verläuft häufig fließend. Viele, die nun dauerhaft in Berlin leben, standen selbst einmal bepackt mit ihren wenigen Habseligkeiten am Hauptbahnhof und studierten verzweifelt den Streckennetzplan der BVG, noch nicht wissend, dass diese Stadt eines Tages ihr neues Zuhause sein könnte. Auch Tamar aus Israel war nicht klar, dass sie länger bleiben würde, als sie Berlin zum ersten Mal besuchte. Mittlerweile hat sie ein eigenes Atelier und lebt von ihrer Kunst. Heute kocht sie mit ein paar Freunden und Christian, der Urberliner, ist auch dabei. Ein Bild des Idealzustands, das nicht zwingend als illusorisch verstanden werden muss. Man stelle sich Berlin ohne seinen charakteristischen Mix aus diversen Menschen und Kulturen vor, zu dem Touristen, Erasmus-Studenten, Künstler, Dönerverkäufer, Spätkaufbetreiber, Wahlberliner und Urberliner alle gleichermaßen ihren Teil beitragen. Richtig, das geht nämlich gar nicht. Und wäre außerdem verdammt öde.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/welcome-goodbye