Nach der Revolution

Nach der Schlacht ist vor der Schlacht

Eine Filmkritik von Festivalkritik Cannes 2012 von Joachim Kurz

Zwei wichtige Daten aus der jüngsten Geschichte der arabischen Rebellion sind es, die Anfang und Ende von After the Battle bestimmen. Das erste dieser beiden Daten, die "Schlacht der Kamele" am 2. Februar 2011 markiert eine Episode innerhalb der Rebellion, die (neben den Verletzten dieses Tages) auch psychisch tiefe Wunden innerhalb der ägyptischen Bevölkerung hinterlassen hat. An diesem Tag griffen berittene Kämpfer aus der Beduinen-Gemeinde in Nazlet El-Samman am Fuße der Pyramiden von Gizeh die Protestierenden am Tahir-Platz an und sorgten so für eine neue Stufe der Gewalteskalation. Das zweite Datum, der 9. Oktober 2011, ging als "schwarzer Sonntag" in die Geschichte der Proteste ein. Eine friedliche Demonstration von koptischen Christen und Muslimen vor dem Fernsehsender in Maspero endete mit 34 Toten und mehreren Dutzend Verletzten.
Nach der Revolution beginnt mit Amateur-Aufnahmen vom Tag der "Schlacht der Kamele", es sind Bilder, die verstören und die deutlich machen, wie sehr sie sich ins kollektive Gedächtnis der Protestbewegung eingebrannt haben. Auch auf den Zuschauer verfehlen sie nicht ihre Wirkung - die "Schuldigen" sind deutlich zu sehen, unser Urteil ist schnell gefällt.

Eine der Protestierenden ist Rim (Menna Chalaby), eine moderne junge Ägypterin, die in der Werbebranche arbeitet, sich von ihrem Mann getrennt hat und die sich gemeinsam mit einer Freundin in einer NGO engagiert. Dann aber trifft sie eines Tages Mahmoud (Bassem Samra), einen der Reiter aus Nazlet El-Samman und verliebt sich in diesen. Eigentlich trennt die beiden mehr, als sie miteinander verbindet: Auf der einen Seite die alleinstehende, selbstbewusste junge Frau, auf der anderen Seite der verheiratete Familienvater mit zwei Kindern, der um sein tägliches Brot hart kämpfen muss, seitdem eine Mauer sein Dorf von den Pyramiden trennt und die Touristen aufgrund der unsicheren Lage ausbleiben. Zudem ist Mahmoud innerhalb der Gemeinschaft zu einem Ausgestoßenen geworden - weniger wegen seiner Parteinahme für Mubarak als vielmehr für die Tatsache, dass er von den Demonstranten vom Pferd gezogen und tüchtig verprügelt wurde. In den Augen der Menschen ist er ein Schlappschwanz und hat seine Ehre als Mann verloren, was auch seine beiden Söhne Tag für Tag in der Schule zu spüren bekommen.

Erst als er Rim trifft, ändert sich sein Leben, denn die junge Frau erweist sich als rettender Engel, die all die Dinge in die Hand nimmt, die in Mahmouds Leben schieflaufen. Aus der anfänglichen Verliebtheit wird bald schon eine Zuneigung, die auch Mahmouds Frau Fatma (Nahed El Sabaï) und die Kinder mit einschließt - eine Freundschaft jenseits sozialer Schranken und politischer Haltungen, die andeutet, wie eine künftige Gesellschaft in Ägypten aussehen könnte.

Man merkt Yousry Nasrallahs Film schon ein wenig an, dass es sich um einen Schnellschuss handelt. Vieles an seinem Werk bleibt bruchstückhaft, wirkt eher nicht zu Ende gedacht als subtil angedeutet. So zum Beispiel die Verliebtheit zwischen der selbstständigen Rim und dem einfachen und in tradierten Rollenbildern verhafteten Mahmoud. Was verbindet die beiden - von dem einen Kuss einmal abgesehen? Nicht nur der Zuschauer fragt sich dies, an einer Stelle wird diese Frage von Fatma auch an Rim direkt gestellt. Und gerade weil man sich dies selbst gefragt hat, wartet man umso gespannter auf die Antwort - die dann ausbleibt.

Nasrallah will mit seinem Film Brücken bauen, Grenzen und Mauern überwinden, er will versöhnen - genau das merkt man After the Battle deutlich bzw. überdeutlich an. Unter der Last dieser Verantwortung bricht der Film beinahe zusammen und wahrscheinlich muss man ihn, um ihm gerecht zu werden, als Work in Progress begreifen, als Beginn der filmischen Aufarbeitung der ägyptischen Revolution.

Es werden weitere Spielfilme zu diesem Thema folgen und viele werden mit Sicherheit ausgefeilter und durchdachter sein. Aber - und genau darin liegt die eigentliche Bedeutung von Nach der Revolution - dieser Film markiert einen Anfang. Der Weg, man ahnt es, ist noch weit - für die Demokratiebewegung in Ägypten ebenso wie für die Künstler und ihren Beitrag zur Aufarbeitung der Ereignisse. Der Kampf in Ägypten, so intendiert es der Titel, ist noch lange nicht zu Ende, auch wenn scheinbare Ruhe herrscht. Denn die Feinde der Demokratie sind mächtig. Die nächste Schlacht kommt bestimmt. Man kann nur hoffen, dass sie gewaltfrei ausgeht und die Protestbewegung am Ende siegen wird.

(Festivalkritik Cannes 2012 von Joachim Kurz)

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/nach-der-revolution