Ich und du (2012)

Angenehm altmodisch

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

In einen der kleineren Säle hatte man den Altmeister Bernardo Bertolucci beim Filmfestival Cannes, wo Ich und du Premiere feierte, verbannt. Ob das wirklich etwas zu sagen hatte, war nicht klar, doch passt diese Geste irgendwie zum Film. Denn Ich und du ist ein kleiner Film über einen kleinen, dunklen Raum.

Im Keller der Familienresidenz versteckt sich Lorenzo (Jacopo Olmo Antinori) eine Woche lang vor seiner überfürsorglichen Mutter, denn eigentlich sollte er mit seiner Klasse auf einer Ski-Tour sein. Aber Lorenzo ist lieber allein. Der stille 14-jährige ist eher antisozialer Natur mit deutlich soziopathischen Anzeichen. Sein Plan funktioniert einwandfrei bis plötzlich eine laut plärrende junge Frau in den Keller stolpert. Es ist Olivia (Tea Falco), Lorenzos lang verschollene Halbschwester, die ihn überrascht. Es geht ihr schlecht, sie braucht einen Unterschlupf. Gegen seinen Willen macht sie sich bei ihm breit, erst um eine Nacht zu schlafen, doch dann stellt sich heraus, Olivia ist auf Entzug. Ihr Zustand verschlechtert sich und ob Lorenzo will oder nicht, er wird ihr die nächsten Tage beistehen müssen.

Ich und du ist ein Film, den man bezaubernd nennen möchte. Schon wie in Bertoluccis letztem Film Die Träumer steckt viel altes Kino in ihm. Die Geschichte hat eine romantische, hoffnungsvolle Grundhaltung. Nachdem Bertolucci zehn Jahre lang aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme vom Filmemachen abstinent war, fühlt man in jeder Einstellung, dass er glücklich ist zurück zu sein. Einfach war der Schaffensprozess für den über 70-jährigen dabei nicht. Inzwischen sitzt er im Rollstuhl und hat, wie er selbst zugibt, viele Entwicklungen des Mediums nicht so recht mitbekommen. Nachdem er sich mit Digitaltechniken und 3D beschäftigt hatte, entschied er jedoch letztendlich, den Film ganz altmodisch auf 35mm zu drehen. Das Digitale nimmt nämlich seiner Meinung nach dem Film den Charme. Eine gute Entscheidung, denn Ich und du ist sehr charmant altmodisch. Das sollte man jedoch nicht mit belanglos verwechseln.

Der Film bringt zwar nichts wirklich Neues, doch er ist gelungen und unterhaltsam. Niemals gleitet er in Kitsch ab, im Gegenteil, die beiden Geschwister sind ganz schöne harte Brocken. Genau erfährt man nicht was ihnen zugestoßen ist. Ein paar Fetzen Familiengeschichte werden hier und da erzählt. Doch die eigentliche Tragödie ist auch belanglos. Fakt ist, die beiden sind allein und einsam. Die beiden sind verloren und viel mehr Kind als erwachsen. Haltlos wandern sie umher und es gibt triftige Gründe dafür, dass sie sich in einem Keller treffen und gemeinsam verstecken. Lorenzo hat Angst vor der Welt und Olivia kann ihre Furcht nur mit Drogen mildern - eine Methode, die sie langsam umbringt. Einfühlsam erarbeitet Bertolucci die Probleme der beiden jungen Menschen. Man merkt genau, mit Einsamkeit kennt er sich aus.

Ich und du ist ein stiller Film. Mit Klugheit und Feingefühl erfühlt er die Charaktere mehr durch kleine Gesten und Bilder, als durch große Melodramatik. Gemeinsam lernen die beiden erwachsen zu werden und Nähe und Liebe zu ertragen - die Mutter schläft derweil oben in der Wohnung vor dem Fernseher.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/ich-und-du-2012